Das Paradies liegt in Afrika
Gefahr, doch so angestrengt sie sich im Dämmerlicht auch umschaute â es war niemand auÃer ihnen in der Kirche.
Verstohlen warf sie einen Blick auf die kleine goldene Taschenuhr, die sie als Schmuckstück an der Jacke trug. Es war ein bezauberndes Ãhrchen, rund ums Zifferblatt waren kleine Rubine eingearbeitet. Karolines Mutter hatte die Uhr zu Karolines Geburt von ihrem Mann geschenkt bekommen. Es war ein Erbstück, das die junge Frau ganz besonders in Ehren hielt. Vorsichtig lieà sie das kleine Juwel auf den Jackenstoff zurückgleiten. Gleich vierzehn Uhr vorbei! Wenn sie noch eine Fahrt mit der PferdestraÃenbahn machen wollten, die seit kurzem von der Adderley Street nach Green Point führte, sollten sie nun aufbrechen. Am Abend war Hannah mit Frederic Horseley verabredet. Der charmante Engländer war drei Monate lang auf Reisen gewesen und seit vorgestern zurück in Kapstadt. Kurz vor der Abreise hatte er Hannah noch einmal auf Hopeland besucht, doch sie waren sich nicht nähergekommen, so wie Hannah es insgeheim erwartet hatte. All ihre heimliche Hoffnung war nun auf das Wiedersehen gerichtet. Sophie, die das Geräusch an der Tür ebenfalls gehört hatte, drehte sich diskret um, doch auÃer einer alten, schwarzgekleideten Frau, die in der vorletzten Reihe saà und betete, war niemand zu sehen.
Als sie wenig später hinaus ins Freie traten, blinzelten sie, denn das helle Sonnenlicht blendete. Sophie öffnete ihren spitzenverzierten Sonnenschirm. »Kommt, wir wollten doch StraÃenbahn fahren«, meinte sie, und ihre Miene wirkte wieder gelöst und fröhlich.
Karoline hakte sich bei der Schwiegermutter unter. »Ich bin gespannt auf die Bahn. Leider habe ich sie noch nicht sehen können. Aber ich freue mich darauf, wenigstens ein kleines Stück mit diesem neuen Gefährt zurückzulegen.« Sie seufzte auf. »Ach, es ist eine so spannende Zeit, in der wir leben! So viele Dinge werden erfunden â Nähmaschinen, Glühlampen, Dampfmotoren ⦠ich wäre gern ein Mann, der sich mit all diesen Dingen beschäftigen kann.«
Sophie lachte. »Lass das nicht Christopher hören! Aber ich stimme dir zu â die Neuerungen sind faszinierend. Es ist ein Erlebnis, mit der Bahn zu fahren, du wirst sehen.«
Hannah folgte den beiden mit zwei Schritten Abstand. Immer wieder sah sie sich um, doch niemand folgte ihnen. Auf der StraÃe herrschte reger Trubel, so wie immer. Pferdekutschen fuhren vorüber, sechs englische Offiziere ritten im Schritt durch die StraÃe, sie salutierten, als sie auf der anderen StraÃenseite einen Major in seiner roten Uniform bemerkten.
Ein paar Männer zogen ihre Handkarren über das Pflaster, immer darauf bedacht, keinem Pferdefuhrwerk in die Quere zu kommen.
Drei dunkelhäutige StraÃenjungen, schmutzig und mager, stritten sich vor einer Bäckerei um ein Brot, das ihnen die mitleidige Bäckerin geschenkt hatte. Ein vierter kam näher, er zog einen kleinen Wagen mit Obstkörben und ein paar Jutesäcken hinter sich her. Sofort war die Aufmerksamkeit der anderen auf ihn gelenkt. Sie liefen auf ihn zu, lachten und begannen, einen Spottvers zu singen, dessen Text allerdings keine der Frauen verstand, da die Jungen Afrikaans sprachen.
»Da ist die Bahn schon! Kommt, sonst verpassen wir sie!« Karoline lieà den Arm ihrer Schwiegermutter los und drehte sich nach Hannah um. »Wir müssen auf die andere StraÃenseite, da können wir leichter einsteigen!«
In einiger Entfernung sah man die Bahn näher kommen: Ein Apfelschimmel war vor den gelb und braun gestrichenen, mehr als mannshohen Waggon gespannt. Ein paar Kinder streckten die Köpfe heraus, zwei von ihnen winkten den Wartenden an der Haltestelle zu.
Der Kutscher, in einen schwarzen Gehrock mit goldenen Knöpfen gekleidet, hob die Peitsche, und das Zugpferd beschleunigte seinen Schritt. Ein hochgewachsener Mann in der Uniform eines englischen Leutnants rief dem Kutscher etwas zu, daraufhin zog dieser den Zylinder und winkte.
»Ihr habt es ja sehr eilig!« Hannah lachte, als sie neben Karoline trat. Gespannt sahen sie der Bahn entgegen. Der Waggon lief auf schmalen Schienen, das Pferd blieb genau in der Mitte. Das Tier kannte die Wegstrecke genau, es wusste, dass hier, an der Endstation, eine Ration Hafer und frisches Wasser warteten, und so fiel es in kurzen Galopp. Der Kutscher, der gerade noch ein paar
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