Das Paradies liegt in Afrika
durchnässte seine Schuhe und die Hosenbeine, er merkte es nicht.
»Junge ⦠komm her!« Erleichtert sah er, dass Jamie mit dem Oberkörper an der linken Fassseite lehnte. Wie leicht hätte der Besinnungslose mit dem Kopf unter Wasser geraten können! Schnell fasste David ihn unter den Achseln und versuchte, ihn aufzuziehen. Es war nicht leicht, den Ohnmächtigen hochzustemmen und ihm den zwei Schwarzen, die angstvoll über den Fassrand schauten, anzureichen.
»Los, hebt ihn raus! Vorsichtig!« David Bernhard atmete schwer, als es endlich gelungen war, den schlaffen Körper über den Fassrand zu ziehen. Der Kellermeister machte sich Vorwürfe, dass er nicht darauf bestanden hatte, einen zweiten Mann zur Aufsicht abzustellen. Immer wieder einmal kam es vor, dass bei der Fassreinigung jemand verunglückte. Und jetzt war es der jüngste von all seinen Arbeitern, der einen so schweren Unfall erlitten hatte!
»Jamie! Junge!« Er kniete neben dem Bewusstlosen nieder und schlug ihm vorsichtig auf die Wangen. »Bringt mir Wasser«, befahl er.
Unbemerkt von den Männern war Karoline hereingekommen. »Was ist passiert?«
»Er ist beim Fassreinigen ohnmächtig geworden.«
»O mein Gott!«
»Es ist meine Schuld.« David Bernhard sah nur kurz hoch. »Ich hätte ihn nicht allein arbeiten lassen dürfen. Ein unverzeihlicher Fehler â¦Â«
In diesem Moment richtete sich Jamie halb auf und begann, jämmerlich zu husten. Eli, der älteste der schwarzen Arbeiter, hielt ihm einen irdenen Becher hin. »Trink«, befahl er mit rauer Stimme.
Jamie trank gierig, immer wieder musste er zwischendurch husten, die giftigen Dämpfe hatten seine Schleimhäute aufs äuÃerste gereizt.
»Bringt ihn ins Haus«, ordnete Karoline an. »Und sagt seiner Mutter Bescheid, sie soll sich um ihn kümmern. Sie ist im Waschhaus.«
Die Männer führten Jamie hinaus, der jedoch protestierte, als sie ihn festhielten. »Mir geht es schon wieder gut.«
»Du lässt dich von deiner Mutter versorgen.« David Bernhards Stimme duldete keinen Widerspruch.
»Sie sollten sich auch ausruhen.« Karoline legte dem Kellermeister die Hand auf den Arm. »Blass sind Sie. Kommen Sie mit an die frische Luft.« Sie zuckte leicht zusammen, als ihr bewusst wurde, wie vertraulich ihre Geste wirken musste. Aber war es nicht in der Tat so, dass es sie immer wieder in David Bernhards Nähe zog? Er hatte sie von der ersten Sekunde an fasziniert. Es war, als beständen zwischen ihnen geheime Schwingungen, die niemand auÃer ihnen wahrzunehmen schien. Auch der Mann, der doch gesellschaftlich weit unter ihr stand, sah immer wieder verstohlen zu ihr hin. Sie bemerkte es wohl, wenn sie auch geflissentlich diese Blicke zu ignorieren suchte.
»Ich bin ganz in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen.« Er straffte die breiten Schultern und wandte sich an seine Männer. »Kommt, wir wollen die Arbeit zu Ende bringen.«
Karoline ging langsam hinüber zum Haus, ihr Herz pochte unruhig. Aus der Küche drang leises Lachen, sie hörte die kleine Charlotte eines der afrikanischen Kinderlieder singen, die Josy ihr beigebracht hatte.
Karoline wandte sich nach links und ging in ihr Arbeitszimmer. Neue Bestellungen und Abrechnungen mit Lieferanten würden sie von den sehnsuchtsvollen Gedanken, die ihr seit Wochen die Ruhe raubten, ablenken.
5
W ir haben die Post aus der Stadt mitgebracht! Mama, Tante Hannah hat geschrieben!« Victor rannte, ein Bündel Briefe durch die Luft schwenkend, auf seine Mutter zu. »Vielleicht hat sie mir ein Geschenk geschickt! Der Brief ist so dick!« Die Wangen des kleinen Jungen glühten vor Aufregung. Am Morgen war er mit seinem Lehrer und dem alten Kimani nach Kapstadt gefahren, um neue Schulbücher zu kaufen. AuÃerdem hatten sie zwei Flöten erstanden und Noten dazu. Victor war höchst musikalisch und brannte darauf, ein weiteres Instrument zu erlernen. Auf dem alten Klavier, das in einem Erker des Esszimmers stand, übte er seit Monaten.
»Dann zeig mal her.« Karoline, die an diesem sonnigen Tag einen hellgrauen Reitdress trug, streckte die Hand aus. Sie war in einer halben Stunde mit David Bernhard verabredet, um hinüber nach Summerset zu reiten und dort die Neuanpflanzungen des Pinot Noir zu kontrollieren.
Victor sah gespannt zu, wie seine Mutter mit einem silbernen Brieföffner
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