Das Paradies liegt in Afrika
heute.
Die Sonne verschwand hinter den Bäumen, wie Filigran wirkte das Blätterwerk der Eichen, die Will gemeinsam mit Ben Ruhland vor mehr als sechzig Jahren gepflanzt hatte. Der goldene Schein verklärte die Landschaft, und der alte Mann wollte die Hand vor die Augen legen, um besser über die Rebhänge sehen zu können. Dieses Land war auch sein Land. Hopeland war seine Heimat!
Im Geist sah Will die Gesichter von Charlotte und Ben Ruhland vor sich. Die beiden winkten ihm zu. Und hinter ihnen stand Sina, seine Mutter. Sie und Ben Ruhland hatten einst Hopeland aufgebaut. Sina, die schwarze Sklavin, die der junge Winzer Ben gleich am ersten Tag seiner Ankunft in Kapstadt gekauft hatte, als man sie und ihren kleinen Sohn Will grausam zusammenschlagen wollte â¦
»Onkel Will! Onkel Will! Hast du schon gehört, was passiert ist?« Auf ihren kleinen Beinchen kam Rahima auf ihn zu. Die Zöpfe, die ihre Mutter ihr gebunden hatte, standen wie kleine dicke Nägel von ihrem Köpfchen ab. Rahima wohnte mit ihren Eltern zwei Hütten weiter und war ein aufgewecktes Mädchen, das sich immer wieder zu Will schlich. Der alte Mann konnte so aufregende Geschichten erzählen!
Heute aber reagierte Onkel Will kaum, er hob nur kurz die Hand und winkte ihr zu. Er atmete schwer, und als Rahima auf seinen Schoà klettern wollte, rutschte sie immer wieder ab, weil der alte Mann sie nicht aufnahm und stützte.
»Onkel Will! Schläfst du?« Mit schräggelegtem Köpfchen, die groÃen dunklen Augen weit aufgerissen, sah das kleine Mädchen den Mann im Schaukelstuhl an. Seine Hand hielt ein Weinglas, aber er hatte alles verschüttet. Komisch, das machten Erwachsene doch nicht!
»Rahima â hol Josy.« Christopher kam mit langen Schritten näher. Seine Stimme klang heiser, aber Rahima hatte verstanden, was er gesagt hatte, und eilte los, so schnell sie es vermochte.
Schon wenige Minuten später beugte sich Josy über Will, sanft rüttelte sie ihn an der Schulter. »Will? Hey, was ist mit dir?« Ihre Stimme zitterte, Angst nahm ihr den Atem. Sie versuchte, die zusammengesunkene Gestalt aufzurichten, aber es gelang nicht.
Christopher zog Josy zurück und schüttelte sachte den Kopf. »Lass ihn. Er schläft.«
»Aber doch nicht um diese Zeit!«
Der junge Winzer zog die schwarze Wirtschafterin, die er fast so sehr liebte wie eine GroÃmutter, behutsam an sich. »Er schläft für immer«, sagte er.
»Nein!« Josys Stimme war kaum zu hören. »Das darf er nicht! Will ⦠lass mich nicht allein hier.« Sie fiel auf die Knie, begann zu beten â und so hockte sie auch noch, als Karoline herbeigeeilt kam. Bestürzt und unendlich traurig hielten sie mit den Schwarzen Totenwache, bis die Sonne unterging und der Mond am nachtschwarzen Himmel seine Bahn zog. Er verschwand immer wieder hinter Wolken â es schien, als weine auch der Himmel um Will.
4
H annah kommt zu Besuch!« Langsam lieà Sophie den Briefbogen sinken und sah erst ihren Mann, dann Karoline und Christopher an. »Und sie kommt allein!«
»Was hat das zu bedeuten?« Christopher trank einen Schluck Kaffee.
»Nichts Gutes, wenn ihr mich fragt.« Karl Ruhland presste kurz die Lippen zusammen.
»Schreibt sie nicht, was sie herführt?«, wollte Karoline wissen.
»Nein. Nur dass sie für ein paar Wochen bleiben möchte.« Sophie faltete das Schreiben zusammen. »Sie kommt schon in der übernächsten Woche.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Wir haben dann noch einiges vorzubereiten. Wenn sie für eine Weile in der Heimat ist, wird sie sicher einige alte Bekannte wiedersehen wollen. Ich werde mir überlegen, ob wir ein Fest geben oder einige Freunde ganz ungezwungen herbitten sollen.«
»Das solltest du erst mit Hannah selbst besprechen. Warten wir doch ab, was sie herführt â und wie sie sich fühlt. In ihren letzten beiden Briefen deutete sie an, dass in ihrer Ehe etwas nicht stimmt â¦Â« Karl stand auf. »Hoffen wir, dass sich alles wieder eingerenkt hat. Ihr entschuldigt mich, ich gehe in den Weinkeller.«
»Ich komme mit.« Auch Christopher erhob sich. Der Gedanke, dass seine drei Jahre ältere Schwester in ihrer Ehe unglücklich geworden sein könnte, bedrückte ihn. Die Tatsache, dass Hannah allein kam, sprach allerdings dafür, dass der Zwist mit ihrem Mann noch nicht
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