Das Paradies liegt in Afrika
sehen ⦠nein, das ging über ihre Kräfte. Eine Aussprache herbeizuführen schien ihr ebenso unmöglich. Nein, sie wollte keine Lügen, keine billigen Ausflüchte hören. Was sie gesehen hatte, genügte.
Es gab nur einen Weg, nicht ganz den Verstand zu verlieren vor Schmerz: Sie musste fort! Irgendwohin, wo sie untertauchen und wieder zu sich selbst finden konnte!
Im ersten Impuls wollte sie David entlassen, ihn mit Schimpf und Schande davonjagen. Aber nicht einmal dazu hatte sie die Kraft. Später würde er gehen müssen. Später, wenn sie selbst wieder Herrin ihrer Gefühle und Gedanken war und den Betrieb leiten konnte.
»Um Himmels willen, Missis Karoline, was ist passiert?« Josy schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Sie wollte die junge Frau in den Arm nehmen, doch die wehrte ab.
»Lass mich bitte, Josy, ich ⦠ich muss gleich fahren.« Sie biss sich auf die Lippen. »Bitte frag nicht. Später erkläre ich dir alles. Und ich schreibe dir und sage dir dann, wo ich bin.«
»Aber â¦Â«
»Dräng mich nicht, Josy, ich bitte dich. Und ⦠sag Mister Bernhard, er soll sich um das Gut kümmern.«
Josy schüttelte nur den Kopf. »Warum sagen Sie es ihm nicht selbst?«, hatte sie auf der Zunge, zu fragen, doch sie schwieg. Karoline Ruhland hatte gewiss einen guten Grund, nicht mit dem Kellermeister zu sprechen.
Tausend Fragen brannten der alten Getreuen noch auf den Lippen, aber sie erkannte, dass sie nicht in die junge Gutsherrin dringen durfte. Es musste etwas Schreckliches passiert sein, denn Karoline Ruhland sah aus wie der leibhaftige Tod. Wahrscheinlich ist David Bernhard der Grund für ihr Elend, sinnierte Josy. Aber das werde ich herausfinden. Mir wird er die Wahrheit sagen müssen. Und wehe ihm, er hat sich schuldig gemacht!
Sie rief nach Nelly, das Mädchen war den ganzen Morgen über noch nicht zu sehen gewesen. Josy wusste, dass das junge Ding sich mit dem Hauslehrer eingelassen hatte. Misstrauisch sah die alte Getreue sich um â Nelly schien wie vom Erdboden verschluckt. Und auch Mathew Browling kam erst am späten Vormittag von einem Ausritt zurück. Wo er gewesen war, sagte er nicht.
Beim Frühstücken versuchte Karoline sich mit aller Gewalt zu beherrschen, doch Charlotte und Victor merkten gleich, dass etwas nicht in Ordnung war.
»Hast du geweint, Mama?« Charlotte kletterte auf den Schoà der Mutter und schlang die Arme um ihren Hals. »Tut dir etwas weh?«
Ein trauriges Lächeln glitt über Karolines blasse Züge. »Nein, weh tut mir nichts. Aber es ist etwas Schlimmes geschehen. Und deshalb muss ich fort.« Sie zog das Mädchen fester an sich, ihr Blick suchte den von Victor, doch der Junge blickte starr auf seinen Teller.
Karoline zerriss es das Herz, ihn so trotzig zu sehen. Wie gern hätte sie offen mit ihm gesprochen. Aber das ging nun wahrlich nicht.
»Victor, glaub mir, ich gehe nicht leichten Herzens«, sagte sie und schob die Hand über den Tisch. Doch noch bevor sie seine Finger fassen konnte, bog er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Kein Wort sagte er, aber sein Blick war eine einzige Anklage.
»Ich muss ganz dringend in die Stadt; es ist ein Unglück geschehen â¦Â« Sie schämte sich der Lüge, doch es war die einzige Möglichkeit, wenigstens das Gesicht zu wahren. »Wenn es ihr möglich ist, wird Tante Hannah kommen und sich um euch kümmern. Ansonsten habt ihr ja Josy und Mister Browling, die für euch sorgen werden.«
»Kann ich nicht doch mitkommen?«, bettelte Charlotte.
»Nein, mein Herz, das geht wirklich nicht. Aber ich werde so rasch als möglich wieder zu euch zurückkehren.«
15
D er Februar des Jahres 1871 war so regenreich wie seit Menschengedenken nicht mehr. Nach der sengenden Hitze, die seit den Weihnachtstagen Mensch und Tier belastet hatte, kam der Regen wie eine Erlösung über das Land. Tagelang hingen tiefe Wolken über dem Kap der Guten Hoffnung, zogen dann weiter ins Landesinnere und blieben an den Bergen hängen.
Seit vier Tagen waren Karoline und Hannah in Richtung Nordosten unterwegs. Nässe und Kälte drangen in die Kutsche, von Stunde zu Stunde wurde die Fahrt beschwerlicher.
Zweimal schon hatte der Kutscher die Pferde wechseln müssen. Vor allem die Ãberquerung der Karee-Berge war mühevoll und verlangte Menschen
Weitere Kostenlose Bücher