Das Paradies
schön, und sie verbrachten die Nächte an den Roulette-Tischen des Cage d’Or. Jetzt war der Club tagsüber ein Café und nachts ein Revuetheater. Er stand jedem offen, wenn er das nötige Kleingeld hatte. Nach dem zu urteilen, was Nefissa als Gäste sah, waren es Offiziere und ihre vulgären Ehefrauen. Aus ihrer Schicht, der Aristokratie, kam niemand mehr in das Cage d’Or.
Nefissa trank den Tee und seufzte. Die herrlichen Tage, in denen Klassenzugehörigkeit und Privilegien aufeinander abgestimmt waren, gehörten der Vergangenheit an. Nasser hatte alles der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – die königlichen Gärten waren inzwischen öffentliche Parks und Farouks Paläste Museen. Die einfachen Leute konnten die Privatgemächer bestaunen, in denen Nefissa einst Prinzessin Faiza Gesellschaft geleistet hatte. Auch die Prinzessin lebte nicht mehr hier. Die meisten Mitglieder der alten Aristokratie, die das neue Regime fürchteten, waren in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa oder Amerika emigriert. Die Zahl von Nefissas Freundinnen nahm ab. Selbst Alice gehörte nicht mehr zu ihren Freundinnen. Am Abend von Edwards Selbstmord war das Vertrauen der ersten Jahre zu ihrer Schwägerin zerbrochen.
»Wünschen Madame vielleicht noch etwas?«
Der Kellner ließ sie zusammenzucken. Sie hatte sein Kommen nicht bemerkt. Sie hob den Kopf und blinzelte. Er hatte die Sonne im Rücken und war von einem Leuchten umgeben. Er schien etwas zu nahe am Tisch zu stehen und sie etwas zu vertraut anzulächeln. Sie hatte ihn beobachtet, wie er die anderen Gäste bediente. Bei ihnen war er nur höflich und geschäftig gewesen. Welches Interesse mochte er an ihr haben?
»Nein, danke«, erwiderte sie und mußte sich eingestehen, daß sie mit ihrer Antwort etwas zu lange gezögert hatte. Sie griff in die Handtasche und holte ein goldenes Zigarettenetui heraus. In der Ecke waren ihre Initialen eingraviert, und unter dem »R« funkelte ein winziger Diamant. Aber noch ehe sie das Feuerzeug fand, hielt der Kellner ein brennendes Streichholz an die Zigarette. Sie legte die Hand schützend um die Flamme und berührte dabei seine Finger. Unwillkürlich versuchte sie sich vorzustellen, wie es sein mochte, mit einem so hübschen jungen Mann zu schlafen.
Und das brachte ihr wieder einmal ihre Einsamkeit in Erinnerung.
Omar und Tahia waren inzwischen beinahe erwachsen und brauchten sie kaum noch. Sie hatten eigene Freunde, eigene Interessen und dachten nur an ihre Zukunft. Nefissa verbrachte die Tage mit Einkaufen, beim Friseur und mit Klatsch am Telefon. Sie saß stundenlang am Toilettentisch, probierte neue Kosmetika aus, experimentierte mit Parfüm, manikürte ihre Nägel, pflegte die Haut und strebte nach einem imaginären Schönheitsideal, als führe sie einen heiligen Krieg. Sie redete sich ein, sie verwende nur deshalb so große Sorgfalt auf das Make-up, achte auf ihr Gewicht und stelle mit viel Geschmack ihre Garderobe zusammen, weil sie stolz auf ihr Aussehen sei. Aber tief im Inneren wußte sie sehr wohl, was sie dazu trieb: Sie wollte wieder lieben und geliebt werden.
Sie hatte die vielen, von ihrer Mutter angebahnten Eheangebote abgelehnt, obwohl sich unter den Bewerbern einige reiche und attraktive Männer befanden. Aber Nefissa erwartete von ihrem Leben etwas, das sie vor langer Zeit mit dem englischen Leutnant erlebt hatte – wahre Liebe. Aber eine neue Liebe hatte es nicht gegeben, und die Jahre waren beinahe unbemerkt vergangen, bis sie eines Tages als Siebenunddreißigjährige und Mutter zweier Teenager erwachte. Welcher Mann würde sie jetzt noch wollen?
»Dahiba wird hier tanzen«, sagte der junge Kellner mit einem wissenden Lächeln, »morgen abend zum ersten Mal.«
Nefissa wünschte, er würde gehen. Seine Gegenwart, sein vielsagendes Lächeln schienen sie zu verspotten. »Wer ist Dahiba?«
Er verdrehte die Augen. »
Bismillah!
Unsere gefeiertste Tänzerin! Madame, Sie gehen offenbar abends nicht oft aus. Das überrascht mich.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Bei einer so reichen Dame.«
Aha, er war nicht an ihr interessiert, sondern an ihrem Geld. In plötzlichem Zorn dachte Nefissa: Dann ist er ebenso eine Hure wie Ibrahims käufliche Frauen. Der Kellner stieß sie ab, aber zu ihrer Schande mußte sie sich insgeheim eingestehen, daß sie ihn auch attraktiv fand. Es erbitterte Nefissa, daß sie überlegte, ob dieser junge Mann sie schön fand, und sogar
hoffte,
daß es so war.
»Ich arbeitete auch
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