Das Paradies
abends hier«, fuhr er fort, »heute abend zum Beispiel. Ich arbeite bis drei Uhr morgens und gehe dann zu Fuß zu meiner Wohnung, die ganz in der Nähe ist.«
Sie sah ihn an und wußte nicht, weshalb sie seine Unverschämtheit duldete. Natürlich war es eine Frechheit, daß er sich ihr so unverfroren für Geld anbot. Als ihre Blicke sich drei Herzschläge lang trafen, wandte Nefissa den Kopf ab und griff nach der Handtasche. Sie durfte nicht vergessen, wer sie war: Nefissa Raschid, eine Freundin der Prinzessin Faiza und früher ein gern gesehener Gast am Hof des Königs. Die Frauen der Raschids zahlten nicht für Liebe.
Omar wartete seit dem Abend vor vier Wochen, als Präsident Nasser seine Rede gehalten und er beschlossen hatte, irgendwie mit Jasmina zu schlafen, auf den geeigneten Moment. Das war nicht einfach, denn entweder war sie nicht allein oder er nicht. Im Haus lebten so viele Menschen, daß es unmöglich schien, ein »zufälliges« Alleinsein zu arrangieren. Omar würde nicht viel Zeit brauchen. Er wußte, es wäre schnell vorbei. Er mußte sie nur auf der Treppe oder hinter Büschen im Garten erwischen und hätte seinen Spaß, ehe jemand etwas merkte. Er machte sich keine Gedanken darüber, daß sie sich wehren würde. Zehn Jahre Ballettunterricht hatten sie stark gemacht – Jasmina war schlank und muskulös –, aber Omar war stärker. Außerdem, wenn er sie soweit hatte, dann gefiel es ihr vielleicht, und sie würde sich ihm fügen.
Als er sah, daß Großmutter Khadija in eine schwarze Melaja gehüllt auf die Paradies-Straße trat, wußte er, diese Gelegenheit durfte er sich nicht entgehen lassen. Auch wenn Umma inzwischen ausging, was sie gelegentlich tat, seit Onkel Ibrahim im Gefängnis gewesen war, so geschah es doch sehr selten. Sie ging nie einkaufen, in Restaurants oder ins Kino, wie seine Tanten und Cousinen. Umma betete an den Festtagen in den Moscheen des heiligen Hussein und der heiligen Zeinab und einmal im Jahr auf dem Friedhof am Grab von Großvater Ali. Heute war der Tag ihres alljährlichen Gangs zu der Brücke, die von der Stadt zur Insel Gesîra führte. Niemand wußte, weshalb Umma diesem kurzen Pilgergang ganz allein unternahm, bei dem sie zum Fluß ging und Blumen ins Wasser warf. Aber Omar konnte damit rechnen, mindestens eine halbe Stunde ihrem wachsamen Auge zu entgehen. Er brauchte nur fünfzehn Minuten.
Jetzt mußte Jasmina nur noch pünktlich aus der Ballettschule zurückkommen und nicht unterwegs mit Freundinnen plaudern.
Er hörte sie! Jasmina verabschiedete sich lachend von ihren Freundinnen und kam durch das Gartentor!
Omar hatte alles gut geplant. Er würde sie hinter den Pavillon locken, auf den Rücken legen und ihr den Mund zuhalten. Wenn sie ihn später beschuldigte, dann würde er alles leugnen. Ihm würde man glauben und nicht ihr, denn die Aussage einer Frau galt halb soviel wie die eines Mannes – so stand es im Koran.
»Ja Allah! Jasmina!« rief er, als sie den Weg entlangging. »Komm schnell her! Ich möchte dir etwas zeigen!«
»Was denn?«
»Komm und sieh es dir an!«
Sie runzelte skeptisch die Stirn, legte die Bücher auf die Bank und folgte ihm neugierig zur Rückseite des Pavillons, wo der Hibiskus blühte. »Was ist es denn?« fragte sie noch einmal.
Er packte sie, warf sie auf die Erde und legte sich auf sie. »Ja Allah!« schrie sie. »Laß mich los, du Idiot!«
Er wollte ihr die Hand auf den Mund legen, aber sie biß ihn. Als er seine Hose herunterziehen wollte, gab sie ihm einen so festen Tritt, daß er auf den Rücken fiel. Jasmina stand auf und sah ärgerlich die Grasflecken auf ihrer Bluse. Omar stürzte sich noch einmal auf sie und zog sie auf den Boden. Als er versuchte, ihr den Rock hochzuschieben, versetzte sie ihm einen so festen Faustschlag gegen die Brust, daß ihm die Luft wegblieb. Er wich zurück und saß keuchend im Gras. Jasmina sprang auf und schrie ihn wütend an. »Bist du verrückt geworden, Omar Raschid? Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Bei Allah, was geht hier vor?«
Als sie sich umdrehten, kam Khadija um den Pavillon. Die Melaja blähte sich um ihre Schulter. Wütend fragte sie Omar: »Was hast du tun wollen?«
Er kroch rückwärts und wich ihr aus. »Umma … ich … hm …«
»Ach, steh auf, du Idiot«, sagte Jasmina und strich sich den Rock glatt. Sie deutete auf seinen Kopf und rief höhnisch: »
Mahalabeja,
Stroh, nichts als Stroh! Vergiß nicht, wir sind nicht verlobt, und wir
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