Das Paradies
ist. Bei Gott, Ägypten hat noch immer eine Königin!«
»Ich werde bei ihrem Anblick ohnmächtig werden!« murmelte Jasmina. Dann gab sie ihm einen Kuß und flüsterte: »Zakki, ich werde dich für den Rest meines Lebens lieben! Danke, vielen Dank!«
»Was hast du jetzt vor?« fragte er, aber sie rannte bereits aus der Küche. »Warum sind wir hier, Großmutter?« fragte Amira und blickte aus dem Fenster des Taxis. Sie befanden sich in der Perlenbaum-Straße, in einem Viertel von Kairo, in dem Amira noch nie gewesen war.
Khadija gab nicht sofort eine Antwort. Auch sie blickte aus dem Fenster.
Sie waren zuerst bei Abd el Rahmans Schwester und ihren kranken Kindern gewesen. Aber anschließend ließ Khadija das Taxi nicht in die Paradies-Straße zurückkehren, sondern hierher fahren. Jetzt standen sie am Straßenrand vor dem Haus, in dem Khadija vor sechsundvierzig Jahren Ali Raschid kennengelernt hatte.
Khadija hatte erfahren, daß das Haus abgerissen worden war, aber das stimmte nicht ganz. Das Hauptgebäude stand noch – eine große Residenz im Stil des Hauses in der Paradies-Straße. Aber auf dem Gelände und in den alten Gärten hatte man moderne Häuser mit Mietwohnungen und Geschäften errichtet, die dicht um das herrschaftliche Haus aus dem neunzehnten Jahrhundert standen. Aus dem Gebäude kamen Mädchen in Schuluniformen mit Büchern und Taschen. Das Haus war jetzt eine Schule.
Khadija betrachtete die prächtige Fassade und erwartete, daß sich wichtige Erinnerungen einstellen würden, denn hier hatte sie einmal in einem Harem gelebt. Jetzt gingen an diesem Ort Mädchen zur Schule und waren frei.
Sie schloß die Augen und versuchte, die Jahre zurückzuverfolgen. Khadija schickte ihre Gedanken durch die Marmorflure, damit sie sich vielleicht dort begegnete – dem verängstigten siebenjährigen Mädchen. Würde sie in diesem Harem auch ihre Mutter finden, oder war ihre Mutter in der Wüste gestorben?
Warum kann ich mich nicht daran erinnern, wie ich hierher gebracht worden bin? Warum lebt in meiner Erinnerung nur der Tag, an dem ich dieses Haus verlassen habe?
So sehr sich Khadija auch bemühte, die Erinnerungen wollten sich nicht einstellen. Aber auch wenn sich die Vergangenheit ihr entzog, so wurde ihr doch etwas klar. Plötzlich wußte sie: Man hat mich meiner Mutter weggenommen und hierher gebracht. Man hat mich aus ihren Armen gerissen, als sie mich schützen wollte. Unter der Aufsicht des großen Mannes mit dem roten Turban bin ich dann hierher gebracht worden – der Schwarze war der Haremswächter, ein Eunuch.
Khadija blickte auf Amira und dachte: Das wollen mir meine Träume sagen, und deshalb bin ich heute hierher gekommen. Meine Träume warnen mich davor, daß ich mein Enkelkind verlieren werde. Amira soll mir genommen werden und einen Mann heiraten, der nicht zu unserer Familie gehört. Sie wird mich verlassen und mir nicht länger gehören.
»Was ist, Großmutter?« fragte Amira. »Warum sind wir hier?«
Khadija wollte sagen: Hab keine Angst, meine geliebte Enkeltochter. Ich werde verhindern, daß dir ein Leid geschieht. Ich werde dich nicht verlieren. Statt dessen sagte sie beruhigend: »Vielleicht werde ich es dir eines Tages erzählen, wenn ich selbst alles verstehe. Aber jetzt wollen wir nach Hause fahren. Ich muß mit deinem Vater reden.«
Ibrahim stand am Fenster seines Wohnzimmers und beobachtete Alice unten im Garten. Ein Strohhut schützte sie vor den Sonnenstrahlen. Als er sah, wie die schlanken Hände liebevoll Knollen und Wurzeln teilten, Samen ausstreuten und die feuchte Erde um die Pflanzen andrückten, empfand er ein Sehnen wie einen körperlichen Schmerz. Der Garten war zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden. Angefangen hatte sie vor zehn Jahren mit einem kleinen Beet, in dem ein paar kümmerliche Blumen wuchsen. Jetzt blühte fast an der gesamten Ostseite des Hauses eine leuchtende Pracht aus blauen Prunkwinden, rosaroten Fuchsien, flammendroten Rosen und ihre geliebten Alpenveilchen. Diese Blumen gediehen normalerweise alle nicht in der trockenen Hitze Ägyptens. Alice hatte mit ihrer ausdauernden Fürsorge, Hingabe und Liebe ein Wunder vollbracht.
Ihn durchlief ein Schauer. Er wünschte sich so sehr, sie würde ihm soviel Hingabe und Liebe widmen.
Was war aus ihrer Ehe geworden? Wann hatten sie zum letzten Mal miteinander geschlafen? Es war auch sehr lange her, seit sie zum letzten Mal richtig miteinander gesprochen hatten. Sie redeten nur über
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