Das Paradies
Alltäglichkeiten und Banalitäten. Wie konnte er alles wiedergutmachen, damit sie vielleicht doch zueinanderfanden, bevor ihr Leben trostlos und steril auseinanderzufallen begann?
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte Ibrahim lange Zeit kein Interesse an Sex gehabt – weder mit Alice noch mit einer anderen Frau. Aber als die Monate vergingen und die körperlichen Wunden heilten, hatte er gehofft, Alice würde als seine liebevolle Frau zu ihm zurückkehren. Doch sie war nicht freiwillig in sein Bett gekommen. Sie hatte nicht vermocht, ihn von der Kälte seiner erstarrten Gefühle zu befreien. Er war abweisend gewesen, verschlossen und auch abgestumpft. Vermutlich hatte sie vor seiner höflichen Maske, seinem verwundeten Stolz und der unmenschlichen Demütigung, die er hatte erdulden müssen, kapituliert. Damals hatte Ibrahim begonnen, sich bei anonymen Prostituierten Befriedigung zu verschaffen. Aber das gelang nur vorübergehend. Er sehnte sich nach seiner Frau, und er wollte einen Sohn haben.
Ibrahim hörte das Klopfen an der Tür und sah überrascht, daß seine Mutter eintrat, die nur sehr selten in diesem Flügel des Hauses erschien. »Können wir miteinander sprechen, mein Sohn? Es geht um eine wichtige Familienangelegenheit. Omar ist zu einem Problem geworden. Er kann seinen Trieb nicht länger unter Kontrolle halten. Ich habe ihn gestern dabei überrascht, daß er Jasmina belästigt hat.«
»Jasmina belästigt? Wo ist er! Ich werde ihn eigenhändig verprügeln!«
»Es ist nichts geschehen. Aber man kann ihm nicht länger trauen. Er muß heiraten, und ich habe eine Idee.« Sie setzte sich auf den weichen Diwan, aber bewußt unter das strenge Bild von Ibrahims Vater Ali. »Wir sollten Omar mit Amira verloben. Die Hochzeit müßte bald sein, sobald sie mit der Schule fertig ist.«
»Ich habe dir doch heute morgen gesagt, daß Amira mit Hassan verlobt ist, Umma.«
»Das Mädchen ist zu jung für Hassan. Würde er ihr erlauben zu studieren? Aber Omar hat noch drei Jahre bis zum Examen. Er und Amira können zusammen studieren. Das ist für Amira sehr viel besser, als einen Mann zu heiraten, der dreißig Jahre älter ist als sie.«
»Bei allem Respekt, Mutter, du hast einen Mann geheiratet, der vierzig Jahre älter war als du.«
»Ibrahim, die Hochzeit von Hassan und Amira darf nicht stattfinden.«
»Bei Gott, Umma, ich weiß nicht, was du gegen Hassan einzuwenden hast. Er ist mein bester Freund. Er ist für mich wie ein Bruder. Und er ist eine ausgezeichnete Partie. Man spricht davon, daß er an den Obersten Gerichtshof berufen wird. Außerdem gibt es darüber nichts mehr zu diskutierern, denn Hassan und ich haben bereits den Ehevertrag unterzeichnet. Ich habe ihm mein Wort gegeben.«
»Du hättest dich zuerst mit mir beraten müssen. Und was ist mit Alice? Hat eine Mutter bei der Wahl des Mannes ihrer Tochter nicht auch ein Wort mitzureden? Es ist Aufgabe von uns Frauen, für Amira einen Mann zu finden. Du mußt nur den Ehevertrag unterschreiben.«
»Aber was hast du gegen Hassan einzuwenden? Ich habe deine Ablehnung nie verstanden.«
Und ich kann dir nie den Grund sagen, Sohn meines Herzens.
»Die Hochzeit darf einfach nicht stattfinden.«
»Ich werde bei einem Freund wie Hassan mein Wort halten.« Er trat wieder ans Fenster, teilte den Vorhang und blickte zu Alice hinunter. Khadija stand auf und ging zu ihm. Nach eine Weile sagte sie: »Es gibt Probleme zwischen dir und deiner Frau.«
»Darüber sollte ein Sohn nicht mit seiner Mutter sprechen.«
»Aber vielleicht kann ich helfen.«
Er sah sie gequält an, und sie dachte an Zacharias’ Worte: »Vater wacht nachts auf und schreit. Ich kann ihn hören, so laut schreit er.« Ibrahim schwieg und starrte auf seine Hände. »Ich weiß nicht, was zwischen mir und Alice steht, Umma. Aber ich möchte einen Sohn.«
»Dann hör mir zu. Ich kann dir etwas geben, das du Alice zu trinken gibst.«
Er sah sie mißtrauisch an. »Zu trinken? Hilft das?«
Ich habe es vor langer Zeit selbst benutzt.
»Du kannst mir glauben, daß es hilft. Alice wird sich fügen, und wenn Gott will, schenkt sie dir einen Sohn.«
Er ließ den Vorhang los und drehte dem Fenster den Rücken zu. »Es geht nicht darum, daß sie etwas trinkt, Mutter«, sagte er. »Das ist nicht die Lösung, die ich suche. Ich bin jetzt müde. Ich möchte eine Weile ruhen.«
»Wir müssen die Sache mit Amiras Verlobung klären.«
»Beim Propheten, möge Gottes Segen auf ihm ruhen, die
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