Das Paradies
hellhäutige Enkelin an. Sie hatte die blonden Locken mit zwei Spangen aus der Stirn gesteckt. Khadija dachte: Auch wenn ich bis zu meinem letzten Atemzug nichts anderes mehr tun soll, so werde ich dieses Kind vor Hassan al-Sabir retten. »Was möchtest du wissen, Mischmisch?«
»Ich habe gehört, wie dich Um Hussein nach einem Mittel gegen Impotenz gefragt hat. Was ist das?«
»Es ist ein Zustand, der es einem Mann unmöglich macht, seine ehelichen Pflichten zu erfüllen.«
Amira runzelte die Stirn, denn sie wußte nicht, was für Pflichten das waren. Sie tuschelte mit ihren Schulkameradinnen oft über Jungen und Heirat. Aber da die meisten Informationen auf Mutmaßungen beruhten, hatte Amira nur eine sehr vage Vorstellung davon, was eheliche Pflichten sein mochten. »Wie heilt man das?« fragte sie.
Noch bevor Khadija eine Antwort geben konnte, sagte Badawija, die alte libanesische Köchin, die gerade Fleisch zerteilte: »Durch eine jüngere Frau!« Und alle in der Küche lachten.
Khadija legte Amira den Arm um die Schulter. »Wenn Gott es so will, Mischmisch, dann wirst du dir darum nie Sorgen machen müssen.«
»Ich werde jedenfalls noch lange nicht heiraten!« erklärte die Sechzehnjährige. »Ich gehe auf die Universität und studiere Naturwissenschaften. Ich weiß genau, wie meine Zukunft sein wird.«
Khadija warf Marijam Misrachi einen Blick zu. Ihre Freundin brachte gerade das übriggebliebene Gebäck in die Küche. Marijam erwiderte den Blick und schien zu sagen: Diese Mädchen heutzutage! Khadija lächelte, um ihren Kummer zu verbergen. Sie hatte Marijam von der schrecklichen Verlobung, der Ibrahim zugestimmt hatte noch nichts gesagt.
Jasmina stand an der Küchentür und hielt Ausschau nach Zacharias. Sie sagte ungeduldig: »Ich wünschte, ich würde
meine
Zukunft kennen!«
Marijam ging zu ihr und blickte in den blühenden Garten. »Weißt du, wie wir die Zukunft befragt haben, als ich noch jung war?« sagte sie. »Man nimmt ein Ei und hält es sieben Minuten in der Hand. Dann zerschlägt man es über einem Glas Wasser. Wenn das Ei auf dem Wasser schwimmt, bedeutet das, dein Zukünftiger wird ein reicher Mann sein, aber wenn es auf den Boden sinkt, wird er arm sein. Wenn das Eigelb zerläuft, dann …«
»Ich spreche nicht von Ehemännern, Tante Marijam! Ich möchte wissen, ob ich …« Sie brach schnell ab, denn Umma sollte nichts von ihren Plänen erfahren. Jasmina wartete ungeduldig auf Zacharias, denn er hatte ihr am Morgen zugeflüstert, er habe eine wichtige Nachricht für sie.
»Umma«, sagte Amira und nahm den Himbeerkuchen vom Blech, den Badawija gerade aus dem Ofen geholt hatte. Sie schnitt sich ein Stück ab und biß hinein. Er war himmlisch warm und süß. »Warum kommen die Frauen zu dir, wenn sie krank sind, und gehen nicht zu einem richtigen Arzt wie Papa?«
Khadija stellte die abgetrockneten Porzellantassen behutsam in den Geschirrschrank. »Sie tun es aus Sittsamkeit.«
»Zu Papa kommen auch Frauen.«
»Ich kenne diese Frauen nicht, Mischmisch. Aber zu mir kommen die gläubigen Frauen, die fromm sind und sich niemals von einem fremden Mann untersuchen lassen würden.«
»Warum gibt es dann nicht mehr Ärztinnen? Das wäre doch nur vernünftig.«
»So viele Fragen …«, Khadija seufzte und blickte lächelnd ihre Freundin Marijam an.
Marijam beneidete Khadija um die vielen jungen Menschen in ihrem Haus und um die Aussicht auf weitere Babys in den nächsten Jahren. Marijams Kinder hatten ihr Zuhause bereits seit langer Zeit verlassen und lebten in verschiedenen Teilen der Welt, einige sogar im fernen Kalifornien. Marijam hatte ihre Enkel nur einmal gesehen, und inzwischen war ihr erstes Urenkelkind unterwegs. Vielleicht war es Zeit für sie, Urlaub zu machen und die Kinder zu besuchen. Schließlich waren sie und Suleiman bereits über sechzig. Wie lange sollten sie noch warten, nur weil Misrachis Importgeschäft Gewinneinbußen hatte und Suleiman Tag und Nacht arbeitete? War die Familie nicht wichtiger als das Geschäft? Ich werde heute abend mit ihm darüber sprechen, dachte sie, wenn er zum Sabbat nach Hause kommt. Unser großes Haus ist inzwischen menschenleer, denn viele Juden, auch aus den beiden Familien, hatten das Land aus Vorsicht verlassen …
Sarah war auch in der Küche. Sie hörte den Gesprächen zu, während sie ein Blech mit heißen Sesambrötchen aus dem Ofen holte. Sie war jetzt dreißig und wurde rundlich. Sie war kein Küchenmädchen mehr. Da
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