Das Paradies
meinen Sohn. Aber dich werde ich nicht verlieren. Ich gehe mit dir, Declan. Ich werde deine Frau.«
Mohammed litt Todesängste. Alles war erschreckend leicht gewesen, ganz wie Hussein vorausgesagt hatte. Niemand hatte ihm Fragen gestellt, als er mit dem Geschenkkarton in den Club gekommen war. Niemand sah, wie er ihn am Bühnenrand in der Nähe der Garderobe abstellte. Bevor er ging, überprüfte er ein letztes Mal den Zeitzünder. Die Bombe würde punkt neun Uhr explodieren – also in genau fünf- undvierzig Minuten, wie er zitternd feststellte, als er sich dem Haus in der Paradies-Straße näherte. Er hatte beschlossen, dorthin zu gehen, weil er auf keinen Fall seinem Vater oder seiner Großmutter begegnen wollte. Im Kreis der vielen Verwandten fühlte er sich sicher, und niemand würde auf ihn achten. Umma war Gott sei Dank noch nicht zurückgekehrt. Er hätte nie gewagt, ihr an diesem Abend unter die Augen zu treten.
Wie sollte er es in Zukunft tun? Was hatte er nur getan?
Der Nachmittag war ein Alptraum gewesen. Er hatte die Zeit mit seinen Freunden aus den anderen Ämtern bei Feijrouz verbracht und über seine Tat schweigen müssen. Salah erzählte wie üblich Witze, und Habib machte sich über Mohammeds Verliebtheit lustig. Er betete, daß sie nicht sahen, daß er schweißgebadet war, daß er zu oft auf die Uhr blickte oder daß er den süßen Tee nicht trinken konnte. Und jetzt, kurz bevor es geschehen sollte, spürte er, daß er sich übergeben mußte.
Mein Gott, ich wollte es nicht tun, dachte er verzweifelt beim Betreten des Gartens. Was ist, wenn jemand verletzt oder getötet wird? Vielleicht ein Unschuldiger! Wenn ich das Ganze doch nur rückgängig machen könnte!
Die Stille im Haus riß ihn aus seinen Gedanken. Er blieb verwundert in der Eingangshalle stehen, denn es fehlten die gewohnten Geräusche, die Musik, die Stimmen und das Gelächter. Zum ersten Mal, solange er denken konnte, war es im Haus seines Großvaters ruhig und still. Was war denn los? Wo waren alle?
»Mohammed!« rief seine Cousine Asmahan, die in einem glitzernden Abendkleid und einer Wolke von Parfüm die Treppe herunterkam.
»Weshalb hast du dich noch nicht umgezogen?«
»Umgezogen, weshalb?«
»
Bismillah!
Die Überraschungsparty für Tante Dahiba! Das weißt du doch seit Wochen. Die anderen sind bereits gegangen. Wenn du dich beeilst, kannst du mit mir fahren.«
»Eine Party?« dachte er. Dann fiel es ihm wieder ein – die Überraschung für Tante Dahiba.
»Ich hatte es völlig vergessen, Asmahan. Ich beeile mich und fahre mit dir. Wohin gehen wir?«
»In das Cage d’Or.«
Khadija erwachte mit Beklemmungen in der Brust, und einen entsetzlichen Augenblick lang wußte sie nicht, wo sie war. Dann erinnerte sie sich. Sie übernachteten im Katharinenkloster. Zeinab schlief tief und fest. Ohne sie zu wecken, stand Khadija auf, zog ihr weißes Gewand an und ging hinaus in die kalte Wüstennacht.
Sie hoffte, daß ihre Beschwerden auf das Abendessen zurückzuführen waren, das sie gemeinsam mit den freundlichen Mönchen eingenommen hatten. Warum nur klopfte ihr Herz so heftig?
Sie mußte unbedingt noch eine Weile leben. Es waren keine Erinnerungen wachgeworden. Sie hatte nicht einmal geträumt. Man hatte Zeinab und sie durch das Kloster geführt, das beinahe ein kleines Dorf war. Sie hatten die schöne Kirche gesehen, den Garten und das Ossarium, wo die Gebeine der toten Mönche aufbewahrt wurden. Aber nichts in ihr hatte sich geregt. Wenn sie als Kind wirklich an diesem Ort gewesen war, dann konnte sie sich nicht daran erinnern.
Sie ging hinaus in den stillen Hof, der im hellen Mondlicht lag, und blickte auf die schlichten Gebäude, die ihn umstanden. Sie staunte immer noch darüber, daß sich in den Mauern eines christlichen Klosters eine alte Moschee befand. Sie war vor langer Zeit gebaut worden, um arabische Eroberer von der Einnahme des Klosters abzuhalten. Nun wurde sie von den Beduinen der Umgebung während des Ramadan und zu anderen religiösen Anlässen benutzt. Khadija zitterte vor Kälte und beschloß, in den Schlafsaal zurückzugehen. Aber plötzlich blieb sie stehen.
Sie blickte zum sternenübersäten dunklen Himmel hinauf und hatte das Gefühl, von einem fremden Willen getrieben zu werden. Langsam stieg sie die steinernen Stufen der Umfassungsmauer nach oben.
Die Limousine stand im Stau. Dahiba blickte auf die hellen Lichter, die Menschen, die zu ihren abendlichen Vergnügungen unterwegs
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