Das Paradies
Leute auf Fahrrädern entgegen.
»Bismillah!«
sagte der Fahrer. »Das ist kein gutes Zeichen. Ich glaube, wir kommen zu spät. Die Mönche haben das Tor für die Nacht geschlossen.«
Die Straße wurde immer schlechter und war schließlich nur noch ein Weg. Sie fuhren an einer kleinen weißen Kapelle vorbei, und der Fahrer sagte: »Hier hat der Prophet Moses zum ersten Mal mit Gott gesprochen.«
Endlich erreichten sie eine Anlage zwischen Zypressen, die wie eine Festung wirkte.
»Bleiben Sie im Wagen. Ich werde mich erkundigen, ob wir hier übernachten können«, sagte der Fahrer. Er parkte den Wagen und lief eilig eine Steintreppe nach oben. Aber kurze Zeit später kam er zurück und sagte: »Tut mir leid, Sajjida. Die Mönche haben das Kloster für heute geschlossen. Es waren schon zu viele Touristen hier. Sie sollen morgen wiederkommen.«
Khadija schüttelte den Kopf. Die Schmerzen in Medina waren eine Warnung gewesen. Vielleicht gab es für sie kein Morgen. »Zeinab«, sagte sie, »hilf mir die Stufen hinauf. Ich werde selbst mit den frommen Vätern sprechen.« Sie sah den Fahrer mit einem durchdringenden Blick an. »Wir sind keine Touristen, sondern Pilger auf der Suche nach Gott.«
Als sie die Pforte in der alten Mauer erreichten, atmete Khadija schwer und mußte stehenbleiben.
Bitte, Gott, laß mich nicht sterben, bevor ich die Antworten gefunden habe, die ich hier suche.
Zeinab läutete, und ein bärtiger Mönch im dunkelbraunen Habit der griechisch-orthodoxen Kirche erschien an der Pforte. »Bitte, Vater«, sagte Zeinab auf arabisch, »lassen Sie meine Großmutter ein, damit sie sich ausruhen kann. Wir haben einen weiten Weg hinter uns.« Er verstand sie offenbar nicht. Deshalb wiederholte sie ihre Bitte in Englisch, und sein Gesicht hellte sich auf. Mit einem Nicken antwortete er, das weiße Gewand der frommen Pilger sei ihm bekannt, und öffnete die Pforte.
Sie betraten den Hof des Klosters mit seinen weißgekalkten Wänden.
Als Khadija dem Mönch über das uralte Pflaster folgte, dachte sie: Ich war schon einmal hier.
Die Schatten des Nachmittags krochen durch Al Tafla, und Amira machte die letzten Hausbesuche, bevor sie zur abendlichen Sprechstunde in die Krankenstation zurückging.
»Fährt der Doktor heute weg, Sajjida?« fragte Um Jamal, während Amira im kleinen Hof des Fellachenhauses der alten Frau den Blutdruck maß.
»Ja. Dr. Connor muß nach England.«
»England? Wo ist das? Mein Mann soll sich von mir trennen, Doktora, wenn das kein Fehler ist. Sie müssen ihn festhalten.«
»Oder mit ihm gehen«, sagte Um Rajat. »Eine junge Frau wie Sie,
bismillah
! Es ist noch zu früh für Sie, alt und allein zu sein wie ich.«
Amira verstaute das Blutdruck-Meßgerät sorgfältig in der Arzttasche. Sie konnte sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren.
Als sie und Declan sich vor zwei Nächten nach dem
zaar
geliebt hatten, war das wundervoll gewesen. Hinterher hatten sie lange miteinander gesprochen. Im Morgengrauen hatten sie sich noch einmal geliebt. Und jetzt? Amira spürte, daß ihre Loyalität gespalten war. Um Jamal hatte recht: Wie konnte sie ihn gehen lassen? Doch Declan wollte nicht bleiben.
»Ich liebe dich, Amira«, hatte er gesagt. »Aber wenn ich hierbleibe, ist das mein Untergang. Ich habe diesen Menschen gegeben und gegeben, bis ich nichts mehr geben konnte. Es ist, als hätten sie meine Seele aufgefressen, und ich kann mich nur noch dadurch retten, daß ich gehe.«
Amira verabschiedete sich von Um Jamal und ging langsam durch die späte Nachmittagssonne zurück. Sie versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, es sei ihr Schicksal, allein zu leben – Gott hatte für Declan andere Pläne. Der Abschied am Morgen war wohl richtig, und ich werde ihn nie wiedersehen.
Sie wollte zur Krankenstation gehen, aber sie stellte fest, daß sie plötzlich vor dem Haus am Fluß stand, wo Declan gerade sein Gepäck für die Fahrt nach Kairo im Geländewagen verstaute.
Als sie im Licht der untergehenden Sonne sah, wie er mit heftigen zornigen Bewegungen die schweren Nylontaschen auf die Rücksitze hob, schwanden ihre Zweifel.
»Warte!« rief sie.
Er drehte sich um, und sie rannte in seine Arme. »Ich liebe dich, Declan. Ich liebe dich so sehr, und ich will dich nicht verlieren.«
Er küßte sie leidenschaftlich und fuhr ihr mit den Fingern durch die Haare.
Sie hielt ihn fest an sich gedrückt. »Ich habe alle Menschen verloren, die ich einmal geliebt habe«, sagte sie, »sogar
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