Das Paradies
waren, und sie brannte vor erwartungsvoller Neugier. »Verrate mir doch, wohin wir gehen, Hakim!« sagte sie lachend.
Er drückte nur ihre Hand und sagte: »Du wirst schon sehen, Liebling. Es ist eine Überraschung.«
Mohammed blickte auf die Uhr. Die Bombe würde in fünfzehn Minuten hochgehen. Auf seiner Stirn stand kalter Schweiß. Er drückte auf die Hupe und versuchte, im dichten Abendverkehr schneller vorwärts zu kommen.
Nachdem Asmahan ihm gesagt hatte, daß die Party im Cage d’Or stattfinden sollte, versuchte Mohammed, im Club anzurufen, aber die Leitung war besetzt. Er überlegte, ob er die Polizei informieren solle. Aber dazu blieb keine Zeit. Er kam zu dem Schluß, er müsse selbst in den Club gehen und entweder versuchen, die Bombe zu entschärfen oder sie in den Nil werfen. Mohammed stürmte aus dem Haus und nahm Asmahans Wagen. Jetzt beugte er sich aus dem Fenster und blickte auf die hoffnungslos verstopfte Straße.
Mein Gott, mein Gott. Hilf mir!
Schließlich ließ er in seiner panischen Angst den Wagen mit laufendem Motor stehen und rannte in Richtung Nil.
Die Haustür war nicht verschlossen, und er ging hinein. Die Tür ihres Schlafzimmers stand offen, aber auch dort war sie nicht, und so ging er durch das Haus in den Hof, wo vor zwei Nächten der
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stattgefunden hatte. Dort fand er Amira; sie kniete in einem weißen Kaftan und mit einem weißen Turban auf dem Kopf im Mondlicht auf einem Gebetsteppich.
Declan wich in den Schatten zurück und beobachtete sie. Er hatte sie nie beten sehen, und er blickte wie gebannt auf das Bild, das sich ihm bot. Während sie das Gebet sprach, nahm sie mit fließenden Bewegungen die vorgeschriebenen Körperhaltungen ein. Im Mondlicht wirkte es, als tanze sie. Er hörte die Worte, und als er ihren verinnerlichten Gesichtsausdruck sah – aber auch etwas anderes, vielleicht Trauer oder die Bitte um Verzeihung –, warf er die Zigarette weg, trat sie mit dem Absatz aus und ging schnell davon.
Hakim kam mit der völlig überraschten Dahiba am Arm durch den Haupteingang in den Club. Alle jubelten ihr zu, und auf der Bühne begann Dahibas alte Band das Lied zu spielen, mit dem ihre Auftritte früher begonnen hatten.
Mohammed stürmte keuchend durch den Hintereingang, schob Köche und Kellner beiseite, und als er den Saal erreichte, sah er dort seine ganze Familie versammelt – Onkel Ibrahim, Großmutter Nefissa, seine Stiefmutter Nala, all die Tanten und Onkel, Vettern und Cousinen –, angefangen bei den Ältesten bis hin zu den Jüngsten. Sogar Ibrahims schwangere Frau Atija war gekommen. Jasmina führte unter donnerndem Applaus und zuckenden Blitzlichtern Dahiba durch den Zuschauerraum.
»Mein Gott«, flüsterte Mohammed. Und dann schrie er: »Alles raus hier! Geht alle raus!«
Khadija ging auf der Umfassungsmauer des Klosters entlang und spürte das Sternenlicht, das ihre Schultern umfloß. Erstaunlicherweise fror sie nicht, obwohl der kalte Wüstenwind durch ihr Gewand drang.
Sie blieb stehen und atmete langsam und tief. Sie blickte über die öde Landschaft und versuchte, sich das Zeltlager ihrer Träume vorzustellen. Die Klosteranlage bildete in etwa ein Rechteck. Sie betrachtete die dunklen Umrisse der schroffen Berge vor den Sternen, die Mauern und Dächer des Klosters. Schließlich blieb ihr Blick an einer seltsamen Silhouette hängen. Nach einem Augenblick wurde ihr klar, daß es sich um das Minarett der kleinen Moschee handelte, die im Kloster stand.
Es war ein viereckiges Minarett – das Minarett aus ihren Träumen.
Hier sind wir gewesen.
Plötzlich roch sie Gardenien, diesen süßen, himmlischen Duft ihrer Träume, und sie hörte klar und deutlich die Stimme ihrer Mutter.
»Sieh dorthin, Tochter meines Herzens. Siehst du den schönen Stern im Orion? Es ist Rigel, der Stern, unter dem du geboren bist.«
Es war wie eine Explosion! Die Wand um ihre Seele zerbrach. Sie sah mit ihrem inneren Auge den Berg im hellen Sonnenlicht, sie sah die bunten Zelte und Banner, das Singen und Tanzen um die Lagerfeuer, die Beduinenscheichs in ihren schönen schwarzen Gewändern. Sie saßen auf ihren prächtig aufgezäumten Pferden, und das kleine Mädchen hörte ihr tiefes, fröhliches Lachen. Sie waren alle gekommen, um ihr zu huldigen.
Khadija mußte sich an der Mauer festhalten, als die Erinnerungen wie eine Flutwelle über sie hereinbrachen.
Wir sind auf den heiligen Berg gekommen, um zu beten. Die Führer der Stämme versammeln
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