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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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zu ihrem Fenster hinauf. Nefissas Herz schlug wie rasend. Jetzt war die Gelegenheit gekommen, denn er würde bald weitergehen. Sie mußte nur aufpassen, daß sie niemand sah.
    Zuerst hatte sie ihm eine Nachricht zuwerfen wollen, mit der sie ihm ihren Namen mitteilte und sich danach erkundigte, wer er war. Aber es bestand die Möglichkeit, daß er die Nachricht übersah und ein anderer Fußgänger, vielleicht sogar ein Nachbar, sie fand. Dann wollte sie etwas Persönliches, einen Handschuh oder einen Schal, vom Dach fallen lassen. Aber auch das war ihr zu ungewiß gewesen. Deshalb war sie schließlich heruntergeeilt und jetzt …
    Sie erstarrte.
    Sie hörte die Stimme ihrer Mutter! Irgendwo in der Nähe war Khadija, und sie kam näher. Nefissa versteckte sich schnell hinter einem Busch. Und wenn ihr Leutnant jetzt weiterging? Er konnte glauben, sie habe das Interesse an ihm verloren … Oh, Mutter, was willst du denn plötzlich hier? Geh schneller, Mutter! Schneller!
    Nefissa sah ihre Mutter zusammen mit einer fremden Frau. Sie gingen langsam und unterhielten sich leise. Khadija schien ihre Tochter hinter dem Busch nicht bemerkt zu haben.
    Als die beiden Frauen schließlich vorüber waren und hinter den Mandarinenbäumen verschwanden, kehrte Nefissa zu dem Spalt im Tor zurück und blickte hinaus. Er war noch da!
    Schnell pflückte sie eine Hibiskusblüte, warf sie über die Mauer und hielt den Atem an.
    Er sah die Blüte nicht.
    Ein Militärwagen fuhr vorbei, und die großen staubigen Gummiräder hätten die Blüte beinahe überrollt. Als der Wagen vorüber war, sah sie, wie er auf die Straße eilte und die Blüte aufhob. Er blickte auf die Mauer und schließlich auf das Tor, hinter dem sie stand. Sie hatte ihn noch nie aus der Nähe gesehen. Er hatte dunkelblaue Augen und sandfarbene Wimpern, ein Grübchen in der linken Wange – sie fand ihn unbeschreiblich attraktiv. Dann geschah etwa Erstaunliches. Mit den Augen auf das Tor gerichtet, hob er die Hibiskusblüte an die Lippen und küßte sie.
    Nefissa glaubte, ohnmächtig zu werden.
    Seine Lippen zu spüren, seine Arme, die sie umfingen … Das Schicksal mußte ihnen mehr zugedacht haben als nur verstohlene Blicke! Nefissa wußte in diesem Augenblick, es war ihnen bestimmt, sich kennenzulernen – eines Tages …
    Mit leichter Sorge dachte sie; wie wird er darauf reagieren, wenn er erfährt, daß ich verheiratet war und zwei Kinder habe? Witwen und geschiedene Frauen waren bestimmt auch bei den Engländern nicht als Bräute begehrt. Frauen mit sexueller Erfahrung galten als schwierig, denn sie hatten die Liebe eines anderen kennengelernt und würden bei jedem Mann Vergleiche anstellen. Nefissa wußte sehr wenig über die hellhäutigen Briten, die seit beinahe hundert Jahren in Ägypten herrschten, angeblich als »Schutzmacht«, aber in Wirklichkeit als Imperialisten, wie immer mehr Ägypter erklärten. War einem Engländer die Jungfräulichkeit seiner Geliebten wichtig? Würde ihr Leutnant sie weniger begehrenswert finden, wenn er die Wahrheit über sie erfuhr?
    Nein, dachte sie, nein, so ein Mann ist er nicht! Es würde für sie und für ihn echte Liebe sein. Und sie würden sich begegenen, daran zweifelte Nefissa nicht mehr.
     
    »Niemand weiß etwas davon, Sajjida«, sagte Safeja Rageeb, »ich trage diese Last allein.« Sie sprach von dem Grund ihres Besuchs: Ihre vierzehnjährige Tochter war unverheiratet und schwanger. Safeja hatte erfahren, daß Khadija Raschid geheime Rezepte und Methoden kannte.
    Khadija sah sich plötzlich wieder als Mädchen im Harem. Sie beobachtete öfter, daß Frauen, die eine Zeitlang mit Übelkeit und Unwohlsein zu kämpfen hatten, einen bestimmten Trank erhielten. Sie hörte, daß die älteren Konkubinen sagten, das sei Poleiminze, und später erfuhr sie dann, das sei ein Abtreibungsmittel.
    »Safeja Rageeb«, sagte Khadija und bot ihrem Gast an, auf einer Marmorbank unter einem schattigen Olivenbaum Platz zu nehmen, »ich weiß, was Sie von mir haben möchten. Glauben Sie nicht, ich hätte nicht das größte Mitgefühl für Sie, aber das, worum Sie bitten, darf ich Ihnen nicht geben.«
    Die Frau begann zu weinen.
    Khadija wartete teilnahmsvoll, bis sich Safeja Rageeb wieder etwas beruhigt hatte, und fragte dann:
    »Und was ist mit dem Vater Ihrer Tochter. Weiß er etwas?«
    »Mein Mann und ich sind Sai’idi, Mrs. Khadija. Wir stammen aus einem Dorf in Oberägypten. Wir haben geheiratet, als ich sechzehn und er siebzehn war.

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