Das Paradies
aus, Tante. Er ist so vornehm und gepflegt. Er muß mindestens einen Meter achtzig groß sein, und er hat strohblonde Haare! Ich weiß, du kannst den Engländern nicht verzeihen. Aber sie können doch nicht
alle
Unmenschen sein! Ich
muß
ihn kennenlernen. Wie es heißt, werden die Briten Ägypten bald verlassen müssen. Ich möchte das nicht, denn dann wird er auch gehen!«
Marijam sah sie nachdenklich an. Sie erinnerte sich noch gut an die Zeit vor zweiundzwanzig Jahren. Damals war sie zwanzig gewesen und ebenfalls hoffnungslos verliebt. »Soweit mir bekannt ist, liebes Kind, werden die Briten nicht so schnell abziehen.«
»Dann wird es einen Aufstand geben«, sagte Nefissa traurig. »Alle sagen, wenn die Engländer nicht freiwillig gehen, dann kommt es zum Kampf, vielleicht sogar zu einer Revolution.«
Marijam gab keine Antwort. Sie hatte diese Gerüchte auch gehört. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie und ging mit Nefissa zum Pavillon, »ich bin sicher, deinem Offizier wird nichts geschehen.«
Nefissa strahlte. »Ich weiß einfach, daß wir uns begegnen werden. Es ist unsere Bestimmung, Tante. Hast du so etwas je erlebt? Ich meine, das Gefühl, daß man einfach für jemanden bestimmt ist? Ist es dir so bei Onkel Suleiman ergangen?«
»Ja«, antwortete Marijam leise, »als Suleiman und ich uns kennenlernten, wußten wir sofort, daß wir füreinander bestimmt waren.«
»Wirst du mich nicht verraten, Tante? Bitte, sag Mutter nichts davon.«
»Ich werde deiner Mutter nichts sagen. Wir haben alle unsere Geheimnisse.« Marijam dachte an ihren geliebten Mann und an das Geheimnis, das sie vor ihm seit vielen, vielen Jahre hatte.
»Mutter hat keine Geheimnisse«, sagte Nefissa, »sie ist zu ehrlich, um etwas zu verbergen.«
Marijam blickte zur Seite. Khadija hatte die größten Geheimnisse von allen.
»Ich muß ihn kennenlernen, und ich weiß nicht, wie …«, sagte Nefissa, als sie den Pavillon fast erreicht hatten, wo die Frauen noch immer saßen, Tee tranken und sich unterhielten, während die Kinder mit einem Ball spielten. »Mutter würde es natürlich nie erlauben. Aber ich bin erwachsen, Tante. Ich sollte selbst entscheiden dürfen, ob ich einen Schleier trage oder nicht. Heutzutage verschleiert sich kaum noch eine junge Frau. Mutter ist so altmodisch. Sie hält hartnäckig an den alten Sitten fest. Begreift sie denn nicht, daß die Zeiten sich ändern? Ägypten ist inzwischen ein modernes Land!«
»Deine Mutter sieht sehr wohl, wie die Zeiten sich ändern, Nefissa. Vielleicht hält sie deshalb an den alten Sitten fest.«
»Wer ist die Frau, mit der sie gerade im Garten war? Sie haben lange miteinander gesprochen.«
»Ach ja, diese Frau«, Marijam lächelte. »Ich glaube, auch das ist ein Geheimnis …«
Nefissa blieb nicht im Pavillon. Sie wollte allein sein und über die aufregenden Ereignisse nachdenken, die diesmal sein Kommen begleitet hatten. Als sie das Haus betrat, berichtete ihr der Diener ihres Bruders, Dr. Raschid sei in seinen Räumen und habe nach ihr gefragt. Nefissa wußte, was Ibrahim wollte. Seit Fathejas Tod war es Nefissas Pflicht geworden, ihren Bruder zu umsorgen. Deshalb ging sie in die Küche und richtete ein Tablett mit Kaffee und Gebäck.
Ibrahim zog sich in seinem Salon Jacke und Schuhe aus. Er hatte das Gefühl, hundert Jahre alt zu sein und so leblos wie Staub.
»Also wirklich!« stöhnte Hassan al-Sabir und sank auf den weich gepolsterten Diwan. Er streckte die Beine aus und legte die Füße auf ein rundes Lederkissen. »Es muß sich etwas ändern. So kann es nicht weitergehen …«
Die beiden jungen Männer hatten rotgeränderte Augen und waren unrasiert. Seit Fathejas Tod versuchten sie, Ibrahims Trauer an Farouks Hof mit allen zweifelhaften Vergnügungen zu vertreiben, die der König sich einfallen ließ. Hassan hatte gehofft, der Jagdausflug nach Fayûm werde die Schmerzen seines Freundes lindern, aber Ibrahim wurde nur noch depressiver. Der König hatte seine vielen Gäste mit den neuesten Katherine Hepburn-Filmen unterhalten, seinen Witzen und einem Wachtel-Wettessen, bei dem er es auf fünfzig Wachteln brachte und damit Sieger wurde. In dem luxuriösen königlichen Zelt wurde in diesem Stil bis zum Morgengrauen gefeiert. Hassan hatte sogar zwei wenig zimperliche Blondinen mitgenommen, um Ibrahim damit wieder zum Leben zu erwecken. Aber es half alles nichts.
»Ich finde …«, sagte er gähnend, »trauern ist ja gut und schön, aber vierundzwanzig
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