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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Ein Jahr später bekam ich unser erstes Kind. Wir würden vielleicht noch in dem Dorf leben, wenn nicht mein Mann eines Tages gehört hätte, daß die Militärakademie auch Bauernsöhne aufnimmt. Er hat fleißig gelernt, sich gut vorbereitet, und man hat ihn aufgenommen. Jetzt ist er bereits Hauptmann. Mein Mann ist sehr stolz, Mrs. Khadija, und Ehre geht ihm über alles.« Sie seufzte. »Nein, er weiß nichts von der Schande unserer Tochter. Vor drei Monaten hat man ihn in den Sudan versetzt. Eine Woche später hat der Sohn eines Nachbarn meine Tochter auf dem Weg in die Schule verführt.«
    Was sind das für gefährliche Zeiten, dachte Khadija. Wie ist es möglich, daß junge Mädchen ohne Begleitung auf die Straße gehen? Sie wußte, daß ein neues Gesetz vorbereitet wurde, nach dem ein Mädchen erst heiraten durfte, wenn es älter als sechzehn war. Khadija fand das nicht richtig. Eine Mutter konnte ihre Tochter nur auf eine Weise schützen, wenn die monatlichen Blutungen eingesetzt hatten: Sie übergab ihr Kind einem Mann, der dann die Verantwortung trug, daß sie ihm die Treue hielt und er der Vater aller ihrer Kinder war. Aber heutzutage ahmte man die Europäer nach, und junge Frauen heirateten erst mit achtzehn oder neunzehn. Damit blieben sie sechs oder sieben Jahre ungeschützt, und in dieser Zeit stand die Ehre der Familie auf dem Spiel.
    Aber Khadija ließ sich von ihren Gedanken nichts anmerken, als sie erwiderte: »Das Urteil der Gesellschaft ist manchmal sehr hart, und es ist die Aufgabe einer Mutter, die Tragödie für die ganze Familie zu mildern.« Khadija dachte an ihre verlorene Tochter, die aus der Familie ausgestoßen worden war, ohne daß Khadija daran etwas hätte ändern können. »Wann wird Ihr Mann aus dem Sudan zurückkehren?«
    »Er ist für ein Jahr versetzt worden. Sajjida Khadija, mein Mann und ich, wir lieben uns sehr. In dieser Hinsicht habe ich großes Glück. Er fragt mich in vielen Dingen um Rat und er hört auf mich. Aber in diesem Fall weiß ich, daß er unsere Tochter umbringen wird. Können Sie mir helfen?«
    Khadija dachte nach. »Wie alt sind Sie, Mrs. Rageeb?«
    »Einunddreißig.«
    »Hatten Sie mit Ihrem Mann Geschlechtsverkehr?«
    »In der Nacht vor seiner Abreise …«
    »Gibt es einen Platz, an den Sie Ihre Tochter schicken können? Ich meine, vielleicht eine Verwandte, der Sie vertrauen können?«
    »Meine Schwester in Assiut.«
    »Dann weiß ich, was Sie tun müssen. Schicken Sie Ihre Tochter dorthin. Sagen Sie Ihren Nachbarn, Ihre Tochter müsse eine kranke Verwandte pflegen. Dann tragen Sie unter dem Pullover ein Kissen. Vergrößern Sie es von Monat zu Monat. Sagen Sie allen, Sie seien schwanger. Wenn Ihre Tochter das Kind zur Welt gebracht hat, holen Sie Mutter und Kind zurück, nehmen Sie das Kissen weg und sagen Sie allen, das Baby sei Ihr Kind.«
    Safeja sah Khadija mit großen Augen an. »Ist das durchführbar?«
    »
Al hamdu lillah.
Mit der Gnade Gottes, ja«, erwiderte Khadija.
     
    »Nefissa?«
    Sie zuckte zusammen und drehte sich erschrocken um. »Tante Marijam!«
    »Habe ich richtig gesehen? Du hast eine Blume über die Mauer geworfen«, sagte Marijam Misrachi lächelnd. »Vermutlich hat sich jemand auf der anderen Seite sehr darüber gefreut …«
    Als Nefissa rot wurde und verlegen den Kopf sinken ließ, lachte Marijam und legte ihr den Arm um die Schulter. »Ich wette, es war ein junger Mann.«
    Nefissa wurde schwer ums Herz. Sie wollte allein sein, sie wollte ihn nicht aus den Augen verlieren, sie wollte ihm wenigstens noch einen Augenblick lang nahe sein, vielleicht sogar seine Stimme hören … Aber dann hörte sie auf der anderen Seite der Mauer Schritte, die sich langsam entfernten.
    Marijam duftete schwach nach Ingwer. Ihre roten Haare schimmerten in der Sonne wie Kastanien. Sie hatte bei der Geburt von Nefissa geholfen und fühlte sich schon immer für Nefissa besonders verantwortlich. »Wer ist es?« fragte sie lächelnd. »Kenne ich ihn?«
    Die junge Frau wagte nicht zu antworten. Alle wußten, daß Marijam die Briten haßte, denn sie hatten ihren Vater beim Aufstand von 1919 getötet. Marijams Vater hatte zu der Gruppe der Intellektuellen und politisch Aktiven gehört, die man wegen der »Ermordung« von Engländern hinrichtete. Damals war Marijam sechzehn gewesen. »Es ist ein britischer Offizier«, antwortete Nefissa schließlich kaum hörbar.
    Als sie sah, wie Marijam die Stirn runzelte, fügte sie schnell hinzu: »Aber er sieht so gut

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