Das Paradies
einer Frau in einem langen Gewand einen Geldschein. Man führte sie durch einen schwach beleuchteten Gang mit feuchten Wänden. Es roch stark nach Parfüm, Dampf, Schweiß und Chlor. Sie kam in einen Raum, wo sie ihre Kleider ablegen konnte, die eine andere Frau entgegennahm. Dann gab man ihr ein großes, dickes Handtuch und ein Paar Gummisandalen. Nefissa betrat schließlich einen riesigen Raum mit Marmorsäulen und einem Oberlicht, durch das gedämpft Sonnenstrahlen auf badende Frauen, Masseusen und Dienerinnen fielen, die den Badenden Gläser mit kaltem Minztee reichten und frisches Obst. Die Mitte des Raums beherrschte ein großer Springbrunnen. In dem breiten Becken wateten und schwammen viele Frauen. Sie lachten und unterhielten sich, wuschen die Haare. Einige trugen sittsam Handtücher, andere waren splitternackt. Nefissa kannte mittlerweile einige Gesichter. Diese Frauen schienen regelmäßig hierher zu kommen, andere dagegen kamen offenbar zu den rituellen Waschungen nach der Menstruation. Die meisten erfreuten sich jedoch nur an den gesunden Kräuterdämpfen, den Packungen und Massagen. Nefissa sah auch eine Hochzeitsgesellschaft. In einem Bad war das nichts Seltenes. Die weiblichen Verwandten bereiteten die Braut auf die Hochzeit vor, indem sie ihr wie üblich alle Körperhaare entfernten.
Aber Nefissa war aus keinem dieser Gründe hier. Ihr Besuch in dem Bad war verboten und geheim. Seit sie die Hibiskusblüte über die Mauer geworfen hatte, kam ihr Offizier nur noch sporadisch und nicht mehr zu den gewohnten Zeiten. Manchmal erschien er zwei oder drei Tage hintereinander nicht, aber dann war er plötzlich wieder da und kam die Paradies-Straße entlang. Als eines Nachts der zunehmende gelbe Mond über Kairo leuchtete, blickte Nefissa aus dem Fenster und sah ihn unter der Straßenlaterne. Sie dachte schon, er werde wie üblich weitergehen, nachdem er die Zigarette angezündet hatte, aber er tat etwas Unerwartetes. Er hatte etwas in der Hand und hob es hoch, wie um es ihr zu zeigen. Dann blickte er sich um und winkte ein Bettlermädchen herbei, sagte etwas zu ihr, deutete auf das Tor in der Gartenmauer, gab ihr das, was er in der Hand hielt, und offenbar auch ein paar Münzen, denn das Mädchen bedankte sich bei ihm. Der Leutnant blickte zu Nefissa hinauf und deutete auf seine Uhr – er mußte gehen. Zum Abschied warf er ihr eine Kußhand zu.
Nefissa rannte in den Garten hinunter, und als sie das Tor öffnete, stand das Bettlermädchen mit einem Briefumschlag davor. Beim Anblick der Kleinen erschrak Nefissa; man sah die Ärmsten der Armen von Kairo selten in diesem reichen Wohnviertel und noch seltener eine Fellachin, die fast noch ein Mädchen, aber schon schwanger war. Nefissa nahm den Briefumschlag, den ihr das Mädchen entgegenhielt, und sagte: »Warte!« Sie lief ins Haus zurück, in die Küche, wo die Köchin bei ihrem Erscheinen erschrak, nahm Brot, kaltes Lammfleisch, Äpfel und Käse und wickelte alles in ein sauberes Tuch. Auf dem Weg nach draußen blieb sie vor einem Wäscheschrank stehen und holte eine dicke Wolldecke heraus. Diese Dinge gab sie zusammen mit ein paar Münzen dem überraschten Mädchen und sagte freundlich: »Gott sei mit dir.«
Dann schloß sie das Tor.
Nefissa wollte so schnell wie möglich den Umschlag öffnen, aber sie mußte ungestört sein. Deshalb lief sie den Gartenweg entlang zu dem Pavillon, der im Mond wie ein silberner Käfig schimmerte. Sie riß den Umschlag auf, und dort stand ein Satz: »Wann können wir uns sehen?«
Mehr nicht. Ein weißes Blatt Papier ohne Name, ohne Adresse. Er wollte sie natürlich nicht in Schwierigkeiten bringen, falls die Nachricht in die falschen Hände geraten wäre. Aber dieser eine Satz verzückte sie wie ein langer Liebesbrief.
Von da an dachte Nefissa fieberhaft darüber nach, wie sie ein Treffen arrangieren konnte. Aber sie durfte nur selten aus dem Haus, und wenn sie einkaufen oder ins Kino ging, dann nur in Begleitung ihrer vielen Tanten und Cousinen.
Schließlich war ihr die Erleuchtung gekommen. Sie hörte, wie eine der Hofdamen der Prinzessin die besonderen Vorzüge eines öffentlichen Bades beschrieb, um Kopfschmerzen und Migräne zu heilen. Seitdem hatte Nefissa ständig »Kopfschmerzen«. Zuerst ließ sie sich von ihrer Mutter etwas dagegen geben, dann erzählte sie von dem Bad, das ihr vielleicht helfen werde. Bei den ersten Besuchen begleitete sie eine Cousine. Aber ihre Begleiterin fand den täglichen Gang bald
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