Das Paradies
langweilig und lästig, und danach ging Nefissa allein in das Bad.
Sie schrieb eine Nachricht. »Meine liebe Faiza. Ich habe quälende Kopfschmerzen und mache eine Behandlung in dem Bad am Bâb ZuwêlaTor. Ich gehe jeden Tag kurz nach dem Mittagsgebet dorthin und bleibe etwa eine Stunde. Ich glaube, Dir würde eine solche Behandlung auch gefallen, und ich würde mich sehr über Deine Gesellschaft freuen.« Sie unterschrieb »Nefissa« und richtete den Brief an »Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Faiza.« Den Brief übergab sie unbemerkt dem Bettlermädchen, das inzwischen regelmäßig am Tor erschien und von Nefissa mit Resten aus der Küche versorgt wurde. Sie schärfte dem Mädchen ein, diesen Brief dem Offizier zu geben, wenn er wieder unter der Straßenlaterne stand. So weit, so gut. Aber was geschehen sollte, wenn er ihr folgte, und es vor dem Bad zu einer Begegnung kam, das wagte sich Nefissa nicht vorzustellen. Sie durften auf keinen Fall zusammen gesehen werden. Sie wußte, überall auf der Straße gab es genug Leute, die aufpaßten. Wenn ein englischer Offizier eine ehrbare Muslimfrau ansprach, dann würde er das Viertel nicht lebend verlassen. Jede Begegnung, die sie riskierten, ganz gleich wie sorgfältig sie geplant sein mochte, würde sehr gefährlich sein.
Aber die Gefahr machte ihre Liebesgeschichte noch romantischer. Nefissa war jung und abgöttisch in ihren Leutnant verliebt.
Das Hamman war eines von Hunderten in Kairo und hatte eine tausendjährige, bewegte Geschichte. Man erzählte zum Beispiel, daß vor hundert Jahren ein amerikanischer Journalist unbedingt wissen wollte, was in dem Frauen-Bad geschah. Er verkleidete sich als Frau, und man ließ ihn ein. Aber als der Betrug ans Licht kam, packten ihn die Frauen und kastrierten ihn. Er überlebte und wurde alt. In seinen Reiseberichten erwähnte er das Abenteur in dem Bad in Kairo nur mit wenigen Sätzen. Er schrieb: »Die Frauen waren alle nackt. Als sie feststellten, daß ich ein Mann war, verhüllten sie sofort ihre Gesichter, aber nicht ihre anderen Reize.«
Man führte Nefissa in einen Raum mit Massagetischen, wo Masseusen eifrig dabei waren, Muskeln zu kneten und verspannte Sehnen zu lockern. Nefissa nahm das Handtuch ab und legte sich auf den Bauch. Dann überließ sie sich den geschickten Fingern der Masseuse. Aber sie brauchte keine Massage, keine Waschungen und keine der vielen Behandlungen, die man den Besucherinnen anbot. Nefissa hoffte, endlich ihrem englischen Leutnant zu begegnen. Sie schloß geduldig die Augen und betete, daß dieser Tag bald kommen werde.
Nach der Massage mit Rosenöl, Mandelkleie und Veilchencreme unterzog sich Nefissa der Behandlung, der sich beinahe alle Ägypterinnen regelmäßig unterzogen, um schön und begehrenswert zu sein. Eine Helferin erschien mit rotem Puder in einer Schale und bedeckte damit Nefissas Stirn. Dann entfernte sie mit einer Pinzette sorgfältig alle Augenbrauenhaare, die später mit Khol nachgezogen wurden. Anschließend rieb sie den Körper mit Halawa ein, das war in Zucker gekochter Zitronensaft. Wenn er erstarrte, und man diese zuckrige Schicht entfernte, wurden alle Härchen ausgerissen. Die Behandlung war schmerzhaft, aber wirkungsvoll. Zum Abschluß reinigte sich Nefissa in einem duftenden Bad, und dann war ihr Körper so glatt und haarlos wie Marmor.
Als sie sich gereinigt und erfrischt wieder ankleidete und hinaus in den Sonnenschein trat, blickte sie mit klopfendem Herzen die Straße auf und ab. Dann ging sie zu ihrem Wagen zurück. Sie erstarrte.
Er war da! Er lehnte an einem Landrover, der vor dem Bâb Zuwêla-Tor parkte.
Nefissa hätte ihn fast nicht erkannt, denn er trug keine Uniform. Die Beine schienen ihr plötzlich den Dienst zu versagen, aber sie ging weiter. Ihre Blicke trafen sich, und Nefissa eilte zu dem Wagen. Als sie eingestiegen war, forderte sie den Chauffeur auf, zu Fuß in die Altstadt zu gehen und sich geröstete Kürbiskerne zu kaufen. Er fand das zwar merkwürdig, aber Nefissa dachte: Bestimmt braucht er dazu etwa zehn Minuten. Kaum war der Chauffeur ausgestiegen und in der Menge verschwunden, stand der Leutnant am Wagen. Er sah Nefissa durch das Fenster fragend an. Sie rutschte auf den anderen Sitz, und er stieg ein.
Während das Leben um sie herum pulsierte, der Lärm auf der Straße momentan abebbte, im nächsten Augenblick im Geschrei von Menschen und Tieren, dem Hupen von Autos wieder aufbrandete, saßen die beiden wie in einem Mikrokosmos,
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