Das Paradies
Jahren, deren schwere Goldreifen an beiden Handgelenken klimperten. Ihrem Mann gehörten tausend Hektar fruchtbares Farmland im Nildelta, und er war sehr reich. »Ich kenne da einen wirklich tadellosen Mann. Er ist in allem ein Vorbild. Er ist klug, reich, ein Witwer, und er ist sehr fromm. Er hat mit mir gesprochen, weil er dich gerne heiraten möchte.«
Khadija lachte und schüttelte den Kopf. Ihre Freundinnen versuchten immer wieder, sie unter die Haube zu bringen. Aber Khadija wollte nicht noch einmal heiraten. Sie widmete ihr Leben dem Wohlergehen der Raschids, vor allem ihrem Sohn und ihrer Tochter. Sie sah es als ihre Pflicht an, die Raschids durch die gefährliche Zeit der Umbruchs, der Verwirrung und der dramatischen Veränderungen zu führen. Einige Frauen aus Khadijas Kreis gehörten der Ägyptischen Frauenliga an. Es waren aktive Feministinnen, die sie unbedingt überzeugen wollten, an ihrem Kampf für die Rechte der Frauen mitzuwirken. »Du mußt dein Haus verlassen, Um Ibrahim!« beschworen sie Khadija. »Leg den Schleier ab und kämpfe in der Öffentlichkeit um deine Rechte. Für die Frauen beginnt endlich ein neues Zeitalter.« Aber Khadija lächelte nur und erwiderte: »Wie sollen mich diese sogenannten Rechte auf der Straße schützen? Nein, alle meine Rechte sind hier, im Haus meines Mannes.« Aber mit großem Kummer hatte Khadija feststellen müssen, daß ihre Tochter für solche Ideen sehr aufgeschlossen war. Seit Ibrahims Abreise war Nefissa sehr schwierig gewesen. Alle Bemühungen, ihr einen Mann als möglichen Ehekandidaten einzureden, waren gescheitert. Und dabei war die Auswahl nicht allzu groß. Nefissa war keine Jungfrau mehr, und junge Männer ihres Alters wollten keine Frau mit sexuellen Erfahrungen. Aber ein alter Witwer, wie zum Beispiel der, der sein Interesse an Khadija bekundet hatte, kam für Nefissa nicht in Frage. Sie bot ihrer Mutter in diesem Punkt energisch die Stirn und berief sich auf die »neuen Rechte«, die eine Frau dazu ermutigten, selbst zu entscheiden, welchen Mann sie heiraten würde. Khadija seufzte. Sie wollte ihre Tochter nicht zwingen, aber sie wußte, im Gegensatz zu ihr brauchte Nefissa einen Mann.
Nefissa saß am anderen Ende des Raums auf einem Diwan und stillte ihren Sohn, der mit dreieinhalb Jahren bereits ein sehr großer Junge war und nicht allzu sanft an ihrer Brust trank. Sie hatte versucht, Omar zu entwöhnen, aber bislang ohne Erfolg. Jedesmal, wenn sie seine Schwester Tahia oder die mutterlose Jasmina stillte, stellte er energisch und trotzig seine Forderungen. Mädchen konnte man leichter entwöhnen. Man mußte sich nur mit Nachdruck behaupten. Jungen waren viel verwöhnter und lernten schnell, daß sie allem Weiblichen überlegen waren – angefangen bei ihrer Mutter.
Nefissa fuhr Omar sanft durch die Haare und dachte: Es wird langsam spät. Sie mußte die Kinder zu Bett bringen, und dann kam ihre geheime Stunde, in der sie am Fenster saß und von ihrem Leutnant träumte. Die Zeit war schnell vergangen, denn bald nach der Begegnung im Auto und seiner Abreise hatte die alte Zou Zou einen Schlaganfall gehabt und war seitdem ans Bett gefesselt. Nefissa hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ihr jeden Abend vorzulesen – manchmal eine Geschichte aus
Tausendundeiner Nacht,
manchmal aus dem Alten Testament. Zou Zou konnte nicht genug aus dem Leben der großen Propheten hören, von Jussuf, Abraham, Moses und Jesus. Und so waren die Abende für Nefissa nicht ganz so einsam gewesen. Trotzdem sehnte sie sich nach ihrem englischen Offizier und hoffte inständig auf seine Rückkehr, auf das versprochene Wiedersehen. Aber würde er wirklich nach Kairo zurückkommen?
Sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Nefissa wußte, es war ihnen beiden bestimmt, sich zu finden. Eines Abends war eine Wahrsagerin in Prinzessin Faizas Palast gewesen, und Nefissa hatte sich von ihr die Zukunft voraussagen lassen. Die alte Frau hatte den Kaffeesatz lange betrachtet und Nefissa dann gesagt, sie werde in den Armen eines »blonden Mannes« die große Liebe finden.
Omar schlief schließlich an ihrer Brust trotz Musik, Lärm und Lachen ein. Sie legte ihn auf den Diwan, knöpfte sich das Kleid zu und rief unauffällig das Kindermädchen. Dann bedeutete sie ihrer Mutter, daß sie zu Zou Zou gehen würde.
Eine der Frauen stand plötzlich auf, streifte die Schuhe ab, trat mitten in den Raum und begann zu tanzen. Die anderen fingen sofort an, im Rhythmus zu klatschen und zu
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