Das Paradies
seidenen Morgenmantel und dem Genuß der Wasserpfeife. Das war der ruhige, angenehme Beginn eines Tages, bevor er zu Farouks Zeiten in den Palast fuhr.
Warum dauerte es nur so lange, bis man ihn hier herausholte? Warum war Hassan noch nicht gekommen?
Aber bestimmt würde er ihn heute aus dieser Hölle erlösen.
Ibrahim mußte sich bald eingestehen, daß er schrecklichen Hunger hatte. Kein Wunder, er hatte vor mehr als vierundzwanzig Stunden beim Abendessen im Kreis der Familie zum letzen Mal etwas gegessen. Hätte er doch nicht auf die zweite Portion Lamm mit Reis verzichtet und auch das süße Baklava nicht verschmäht.
Er ging zur Tür, drückte das Gesicht gegen die Gitterstäbe und blickte auf den Gang hinaus. »He, ihr da!« rief er auf arabisch. »Ich weiß, daß ihr mich hören könnt. Ich habe eine Nachricht für euren Vorgesetzten. Sagt ihm, er wird es noch bedauern, daß er mich in diese Zelle gesperrt hat.«
Erstaunlicherweise erschien grinsend der unverschämte Wärter.
»Hör zu«, sagte Ibrahim, ohne seinen Ärger zu verbergen, »du weißt nicht, wen du vor dir hast. Ich habe mit denen da«, er wies auf die Zelle, »nichts zu tun. Sag deinem Vorgesetzten, er soll sich mit Hassan alSabir in Verbindung setzen. Er ist mein Anwalt und wird ihm erklären, daß meine Verhaftung ein Irrtum war.«
Der Wärter verzog nur geringschätzig den Mund und ging wortlos davon.
Ibrahim rief ihm nach: »Weißt du, wer ich bin?« Er wollte hinzufügen: »Wenn das der König erfährt …« Aber dann fiel ihm ein, daß es keinen König mehr gab …
Er lehnte sich in ohnmächtiger Wut gegen das Gitter. Was sollte er tun? Er versuchte, sich vorzustellen, wie Hassan sich in dieser Lage verhalten hätte. Sein Freund besaß eine angeborene Arroganz, die bei jedem Ehrerbietung auslöste. Ihm hätte man sofort jede erdenkliche Aufmerksamkeit geschenkt. Aber Ibrahim wußte nicht, wie er seinen Status hier durchsetzen sollte. Er hatte sich in seinem Leben nie durchsetzen oder um etwas kämpfen müssen. Jeder, der ihm begegnete, war ihm gegenüber unterwürfig gewesen.
Trotzdem zweifelte Ibrahim nicht daran, daß er in wenigen Stunden die Zelle würde verlassen können. Seiner Familie war es vermutlich nicht so schnell gelungen, zu den richtigen Stellen vorzudringen. Sie wußten nicht auf Anhieb, in welches Gefängnis man ihn gebracht hatte, und dann gab es sicher eine Reihe bürokratischer Dinge, die erledigt werden mußten. Edward nannte das den »Papierkrieg«. Trotzdem hätte man ihn hier besser behandeln sollen. Selbst wenn die Zuständigen glaubten, ihn rechtmäßig verhaftet zu haben, so sperrte man Gefangene seiner Klasse doch nicht mit gewöhnlichen Dieben und Bettlern in eine Zelle. Wenn man ihm wenigstens eine Zahnbürste, Seife und heißes Wasser geben würde. Natürlich brauchte er auch menschenwürdiges Essen. Sein Magen knurrte, und er war bereits schwach vor Hunger.
Als Ibrahim zu seinem Platz an der Wand zurückging und dabei wieder darauf achtete, keinen seiner Mithäftlinge zu berühren, überlegte er, was Alice wohl in diesem Augenblick tat. Sie würde sich große Sorgen machen. Die vergangenen sechs Monate waren für sie schwer gewesen. Wenn doch im Januar nicht die Unruhen ausgebrochen wären, dann hätte er sie mit der Reise nach England überrascht, und sie wären jetzt wieder ein glückliches Paar. Alice könnte sogar schwanger sein. Vielleicht hätten sie sich sogar mit dem Earl ausgesöhnt und wären noch in England, weit weg von der Revolution, dem Terror, und es wäre nie zu der schreienden Ungerechtigkeit seiner Verhaftung gekommen. Aber mittlerweile wurde Ibrahim klar, daß die Revolution mehr als eine vorübergehende unangenehme Episode sein würde.
Die Wärter brachten wieder Brot und Bohnen und lösten mit ihrem Erscheinen den tierischen Kampf um das Essen aus. Trotz seines Ekels drängte ihn der knurrende Magen, sich seinen Teil zu holen. Bestimmt bereitete seine Mutter in diesem Augenblick ein Willkommensfest für ihn vor, und er würde heute abend sein Lieblingsgericht essen – gefülltes Lamm mit Minze und Eiern. Vielleicht würde er sogar als eine Art Medizin einen Schluck von Edwards Cognac trinken.
Während die Häftlinge schmatzend und rülpsend ihr Frühstück verzehrten, ging Ibrahim zu der vergitterten Tür, um mit den Wärtern zu reden, bevor sie wieder verschwanden. Aber sie würdigten ihn keines Blickes.
»Deprimierend, nicht wahr?«
Ibrahim drehte sich um und sah
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