Das Paradies
Mahzouz, der sich mit dem letzten Bissen Brot die Lippen abwischte, bevor er es in den Mund schob. »Man kann ihnen sagen, was man will«, fügte er lächelnd hinzu, »sie tun so, als sei man Luft. Diese Hunde kennen nur eine Sprache.« Er machte eine schnelle Bewegung mit Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger.
»Was für eine Sprache?«
»
Bakschisch
… Bestechung.«
»Aber ich habe kein Geld. Man hat es mir weggenommen.«
»Du hast ein schönes Hemd, mein Freund. Ich wette, selbst Nasser, unser neuer Führer, trägt kein so teures Hemd. Wieviel hast du dafür bezahlt?«
Das wußte Ibrahim nicht. Sein Buchhalter bezahlte die Schneiderrechnungen.
Wortlos ließ er Mahzouz stehen und ging zu seinem Platz an der Rückwand. Sein Ärger wuchs mit jeder Minute.
Als kurz darauf das Klirren von Schlüsseln den Wärter ankündigte, sprang er wie die anderen gespannt auf und schob sich aufgeregt durch die Menge. »Hier bin ich!« rief er dem Wärter zu. »Dr. Ibrahim Raschid ist hier hinten!«
Aber der Wärter war nicht seinetwegen gekommen. Ein anderer Häftling durfte die Zelle verlassen. Seinem Lächeln nach zu urteilen, wurde er entlassen oder in eine bessere Zelle gebracht. Mahzouz hatte Ibrahim erzählt, daß so etwas vorkam, wenn die Familie des Gefangenen die Gefängnisbeamten bestach. Dann brachte man den Betreffenden in eine andere Zelle und behandelte ihn besser.
Ibrahim war wie vor den Kopf geschlagen. Wenn das so war, was tat dann
seine
Familie?
Panik erfaßte ihn plötzlich. Hatte man vielleicht alle Raschids verhaftet?
Aber das war nicht möglich. Es gab zu viele Raschids, und nur wenige hatten etwas mit dem König zu tun gehabt. Außerdem gab es noch die Frauen, allen voran seine Mutter.
Man hatte sie bestimmt nicht verhaftet, und sie würde mit allen Mitteln seine Freilassung betreiben.
Er zweifelte nach wie vor nicht daran, daß er noch vor Ende dieses Tages wieder zu Hause sein würde, aber seine Zuversicht geriet langsam ins Wanken.
Als Ibrahim am dritten Morgen im Gefängnis erwachte, war er mit seiner Geduld am Ende.
Ohne auf die wenig interessierten Zuschauer zu achten – viele der Männer saßen wie Mahzouz schon so lange in dieser Zelle, daß sie völlig abgestumpft waren –, ging Ibrahim zu der vergitterten Tür und rief nach den Wärtern. Er fühlte sich matt und schwach. Er hatte noch immer nichts gegessen. Krämpfe quälten ihn, denn er führte einen erbitterten Kampf gegen die natürlichen Funktionen seiner Eingeweide. Er stellte sich zum Wasserlassen in die Ecke, denn ihm blieb nichts anderes übrig, aber er würde sich nicht wie ein Tier hinhocken oder sich auf diese stinkenden Eimer setzen.
»Ihr müßt mich rauslassen!« schrie er durch das Gitter. »Bei Gott, ich bin ein Freund des Premierministers! Sagt dem Gesundheitsminister, daß ich hier bin! Wir spielen zusammen Polo.«
Ibrahim erfaßte die nackte Verzweiflung. Wo war seine Familie? Wo waren seine Freunde? Wo waren die Engländer? Wie konnten sie diese Farce einer Revolution dulden?
»Es wird ernste Folgen für euch haben, wenn ihr nicht auf mich hört! Ich werde dafür sorgen, daß ihr alle rausgeschmissen werdet! Ihr kommt in die Kupferminen!
Habt ihr verstanden
?«
Als er sich keuchend umdrehte, stand Mahzouz neben ihm. Er lächelte ihn mitleidig an. »Das nützt nichts, mein Freund. Den Wärtern sind deine einflußreichen Freunde gleichgültig. Denk daran, was ich dir gesagt habe.« Er rieb Zeigefinger und Daumen. »
Bakschisch.
Außerdem würde ich dir raten, etwas zu essen. Jeder versucht am Anfang zu hungern. Aber was hilft es dir, wenn du verhungert bist?«
Als die Wärter mit den Essensrationen erschienen, hielt sich Ibrahim noch immer zurück, aber ganz zum Schluß nahm er sich auch ein Brot. Er sah, daß Stroh mit hineingebacken war.
»Das kann man doch nicht essen …«
»Du kannst dir meinetwegen den Arsch damit abwischen«, erwiderte der Wärter und ging davon.
Ibrahim warf das Brot empört auf den Boden, wo die anderen sich darum rissen. Als er schwankend zu seinem Platz an der Wand zurückkehrte, dachte Ibrahim: Ich muß mich zusammennehmen. Es wird sich alles zum Guten wenden. Das hier kann nicht mehr lange dauern …
Alpträume quälten ihn, und wenn er erwachte, stellte er fest, daß der Alptraum in dieser Zelle nicht vorüber war. Weder Schlaf noch Wachsein brachten ihm eine Erleichterung in dieser Lage. Als man das nächste Mal Essen brachte, nahm er sich Brot und Bohnen und
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