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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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aß heißhungrig. Und dann, weil er nicht anders konnte, hockte er sich über einen der stinkenden Eimer.
     
    Am siebten Tag holten die Wärter einen Häftling aus der Zelle. Aber der Mann lächelte nicht. Als sie ihn nach einiger Zeit zurückbrachten, war er bewußtlos. Sie schleppten ihn in die Zelle und ließen ihn auf den Boden fallen. Mahzouz kam zu Ibrahim und sagte: »Du hast gesagt, du bist Arzt. Kannst du dem Mann helfen?«
    Ibrahim ging zu dem Bewußtlosen und betrachtete ihn genau, ohne ihn zu berühren. Man hatte den Mann gefoltert.
    »Kannst du ihm helfen?«
    »Ich … ich … weiß nicht.« Ibrahim hatte noch nie solche Wunden gesehen. Jahre waren vergangen, seit er zum letzten Mal eine Verletzung oder eine Krankheit behandelt hatte.
    Mahzouz sah ihn verächtlich an und murmelte: »Und so was will Arzt sein …«
    Als die Wärter in der Nacht die Leiche aus der Zelle holten, lief Ibrahim zu ihnen. »Bitte, hört mich an.«
    Einer der Wärter starrte auf sein Seidenhemd. Es war inzwischen verschwitzt und fleckig. Ibrahim zog es aus und drückte es dem Mann in die Hand. »Hier, nimm es. Es ist soviel wert wie ein Monatslohn«, flüsterte er, ohne zu wissen, was der Mann verdiente. »Benachrichtige Hassan al-Sabir. Er ist mein Anwalt. Er hat seine Kanzlei am Ezbekija-Platz. Sag ihm, daß ich hier bin. Sag ihm, er soll herkommen und mit mir sprechen.«
    Der Wärter ging wortlos mit dem Hemd davon, und als Hassan in den nächsten Tagen nicht im Gefängnis erschien, wußte Ibrahim, daß der Mann das Hemd genommen, seinen Auftrag aber nicht ausgeführt hatte.
    Ibrahim begann, inbrünstig zu beten. Er bereute die Nacht, in der er Gott verflucht hatte, als Jasminas Mutter gestorben war. Er bereute, Zacharias adoptiert und damit Gottes Gebot übertreten zu haben. Kein Mann durfte den Sohn eines anderen für sich beanspruchen. Er bereute, bereute, bereute und flehte: »Bitte laß mich aus dieser Zelle heraus.«
    Und dann hatte er den schlimmsten Apltraum. Sein Vater, Ali Raschid, sah ihn finster an und schüttelte den Kopf, als wolle er sagen: Du hast mich wieder enttäuscht.
    Er beschwor auch die Wärter: »Glaubt mir, ich bin sehr reich. Ihr könnt alles von mir haben, wenn ihr mich nur freilaßt.« Aber sie wollten nur das, was er ihnen auf der Stelle geben konnte, und Ibrahim besaß nichts mehr außer seiner Unterwäsche und der Anzughose.
     
    Er träumte, er halte Alice in den Armen. Die Kinder spielten zu ihren Füßen. Seltsamerweise waren sie für ihn Süßigkeiten. Alice war Vanilleeis, Amira schmeckte nach Zitronen, in Jasmina floß dunkelbrauner Honig und Zacharias war aus Schokolade. Träumte er davon, seine Familie zu essen?
    Beim Aufwachen stellte er erschrocken fest, daß er die genaue Zahl der Sonnenaufgänge vergessen hatte. War dies sein dreißigster Tag in der Gefangenschaft oder war das gestern gewesen? Es mußte bereits September, vielleicht sogar schon Oktober sein. Wenigstens ließ die mörderische Sommerhitze langsam nach.
    Ibrahim kratzte sich am Bart und versuchte, die Läuse zu fangen, die sich dort einquartiert hatten. Obwohl er inzwischen die Bohnen und das Brot aß, sich auf den widerlichen Eimer setzte, versuchte er noch immer, seine Würde zu wahren. Er sagte sich ständig vor, daß er nicht mit den anderen in der Zelle zu vergleichen war. Ein heißes Bad, eine Rasur und saubere Kleider würden ihn wieder zu dem Pascha machen, der er einmal gewesen war. Die abgerissenen Kerle hier mochten noch soviel baden oder anziehen, was gut und teuer war, sie würden bleiben, was sie waren – verlaustes Gesindel!
    Dann kam der Morgen, an dem Mahzouz nicht mehr da war.
    Hatten sie ihn während der Nacht abgeholt? Hatte man ihn freigelassen, während die anderen schliefen? Hatte man ihn vielleicht gefoltert? War er tot?
    Viele der Häftlinge waren inzwischen verhört worden. Ibrahim verstand nicht, weshalb man ihn nicht zum Verhör abholte. Das hätte ihm die Möglichkeit geboten, mit Leuten zu sprechen, die mehr Verantwortung und Einfluß besaßen als diese unverschämten Wärter. Er stellte fest, daß die Häftlinge ohne erkennbare Ordnung verhört wurden, denn einige, die man abführte, waren Neuankömmlinge. An manchen Tagen wurde niemand verhört, an anderen drei oder vier Männer. Wenn man sie zurückbrachte, versuchte er, ihnen zu helfen, aber ohne Erfolg. Selbst wenn er das nötige Material zur Verfügung gehabt hätte, so fehlte ihm doch die Erinnerung an sein Medizinstudium, um

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