Das Parsifal-Mosaik
worden, hatte den Fahrer gegrüßt und dann wortlos im Fond gewartet. Der zweite Mann war zwölf Minuten später eingetroffen. Der Gegensatz zwischen ihm und Halyard war ebenso groß wie der zwischen einem Adler und einem Löwen, und beides waren hervorragende Vertreter ihrer Art. Addison Brooks war Rechtsanwalt gewesen, internationaler Bankier, Berater von Politikern, Botschafter. Er kam aus dem Establishment der Ostküste. Er besaß einen schlagfertigen Witz, der manchmal zynisch, meistens aber sanft und voll Mitgefühl war. Er hatte alle politischen Machtkämpfe und Intrigen mit derselben hartnäckigen Geschicklichkeit überlebt, die Halyard ebenfalls auszeichnete. Beide waren kompromißlos, wenn es um ihre Prinzipien ging; sonst aber verstanden sie es meisterhaft, sich neuen Realitäten anzupassen.
Der Chauffeur hatte den Botschafter schon einige Male gefahren und fühlte sich geschmeichelt, daß der alte Brooks sich seinen Namen gemerkt und immer irgendeine persönliche Bemerkung gemacht hatte: »Verdammt, Jack, nehmen Sie denn nie zu? Meine Frau verlangt immer, daß ich meinen Gin mit Fruchtsaft mische.« Das war eine glatte Übertreibung gewesen; der Botschafter war ein großer, schlanker Mann, und sein silbergraues Haar, die markanten Züge und der perfekt gestutzte graue Schnurrbart ließen ihn eher wie einen Engländer erscheinen.
Heute freilich hatte es in Andrews Field keine persönliche Begrüßung gegeben. Statt dessen hatte Brooks nur geistesabwesend genickt, als der Fahrer ihm die hintere Tür geöffnet hatte. Als er jedoch den General im Fond erkannt hatte, erstarrte er für einen Moment. »Parsifal«, hatte der Botschafter mit leiser, ernster Stimme gesagt; das war die Begrüßung. Anschließend hatten sie mit ernster Miene miteinander gesprochen und sich dabei immer wieder angesehen, als stellten sie Fragen, die keiner von beiden beantworten konnte. Dann waren sie verstummt, oder zumindest schien es jedesmal so, wenn der Fahrer gerade in den Rückspiegel blickte. Worin auch immer die Krise bestehen mochte, die sie von einer Insel in der Karibik ins Weiße Haus geführt hatte, sie war jedenfalls von höchster Brisanz.
Der Fahrer der schwarzen Limousine bog von der Kenilworth Road in das Wohnviertel Berwyn Heights ein. Er war schon zweimal dort gewesen, deshalb hatte man ihn auch heute abend für die Route eingeteilt, obwohl er früher einmal die Bitte geäußert hatte, dem Staatssekretär Emory Bradford nicht mehr zugeteilt zu werden. Wenn ein Teil seines Auftrags darin bestand, Bradfords Leben zu schützen und dabei sein eigenes zu riskieren, so war er nicht sicher, ob er das tun, ja, ob er überhaupt dazu bereit sein würde. Vor fünfzehn Jahren war der kalte, analytische Emory Bradford ein typischer Vertreter jener jungen Pragmatiker gewesen, die auf dem Weg zur politischen Macht ihre Gegner links und rechts einfach niedergemacht hatten. Auch die Tragödie von Dallas hatte ihn in seinem Spurt nicht gebremst; nach reichlichen Tränen folgte schnell ein Prozeß der Anpassung. Die Nation war in Gefahr, und jene, denen die Fähigkeit gegeben war, die aggressive Natur des Kommunismus zu durchschauen, mußten zusammenstehen. Der schmallippige, emotionslose Bradford mit dem bleichen Gesicht wurde ein leidenschaftlicher Falke. Die »Domino-Theorie« hatte damals entscheidenden Einfluß auf die amerikanische Außenpolitik.
Und ein ehrgeiziger Farmerssohn aus Idaho war dem Ruf gefolgt und wurde Soldat in Vietnam. Das war seine persönliche Reaktion auf die langhaarigen Studenten und Hippies, die Fahnen und Einberufungsbefehle verbrannten.
Im Dschungel mußte er miterleben, wie seinen Freunden die Köpfe weggeschossen wurden, die Gesichter, die Arme, die Beine. Er sah, wie Soldaten im feindlichen Feuer kehrtmachten und davonrannten, während ihre Offiziere Karabiner, Jeeps und ganze Lkw-Ladungen mit Lebensmitteln verkauften. Er begann zu begreifen, was allen so offenkundig war, nur Washington und dem Oberkommando in Saigon nicht.
Und dann geschah es. Der fanatische Falke Emory Bradford trat vor einen Senatsausschuß und verkündete der Nation, daß die brillanten Planer einen schlimmen Fehler begangen hätten. Er sprach sich für den sofortigen Rückzug aus Vietnam aus und erhielt eine stehende Ovation, während sich ein Farmerssohn aus Idaho verdammte Mühe gab, nicht als Kriegsgefangener zu sterben. Nein, Mr. Bradford, für Sie werde ich mein Leben nicht riskieren. Nicht noch einmal.
Das große
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