Das Parsifal-Mosaik
kann ich ihnen nur raten«, entgegnete Michael. Er erhob sich und blickte auf den Colonel herunter. »Ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann. Und bis dahin möchte ich, daß diese ganze gottverdammte Sache geklärt wird ... in allen Einzelheiten. Denn wenn das nicht geschieht, werde ich anfangen, aus der Schule zu plaudern. Wann und wo wird keiner von euch erfahren. Und dabei wird auch irgendwo die hochbrisante Information zur Sprache kommen.« »Machen Sie keine Dummheiten!«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, das beabsichtige ich nicht. Aber das, was man ihr angetan hat, uns angetan an ... war einfach nicht fair, Colonel. Ich bin wieder dabei. Solo. Ich melde mich.« Havelock drehte sich um und eilte aus dem Cafe in der Via Pancrazio.
Er erreichte die Via Galvani auf seinem Weg zurück zum Bahnhof, wo er den neugekauften Koffer in einem Münzschließfach deponiert hatte. Plötzlich wurde ihm die schmerzhafte Ironie klar: Ein Koffer in einem Münzschließfach auf dem Flughafen von Barcelona war es gewesen, der Jenna Karras überführt hatte. Der Überläufer von der Rote Armee Fraktion hatte sie - als Gegenleistung für die stillschweigende Aufhebung eines Todesurteils, das in absentia ausgesprochen worden war - zu dem Koffer geführt. Der deutsche Terrorist hatte Madrid erzählt, »Fräulein Karras« hätte ständig Zugriff zu geheimen, stets auf den letzten Stand gebrachte Akten. Das war eine übliche Praxis bei der Voennaja, die von der seltsamen Beziehung diktiert wurde, die dieser geheime Zweig der sowjetischen Abwehr zum übrigen KGB unterhielt. Außenagenten, die an ausgedehnten Operationen beteiligt waren, hatten Zugang zu ihren eigenen Akten für den Fall, daß ihre Vorgesetzten in Moskau plötzlich nicht erreichbar waren.
Jemand nimmt Kontakt mit ihr auf und überreicht ihr einen Schlüssel. Dabei nennt er ihr einen Ort: einen Raum oder ein Schließfach, vielleicht sogar eine Bank. Dort befindet sich das Material, darunter auch Aufzeichnungen über neue, gerade entwickelte Ziele.
Ein Mann hatte sie eines Nachmittags zwei Tage vor seiner Abreise nach Madrid in einem Cafe am Paseo lsabel angesprochen. Ein Betrunkener. Er hatte ihr die Hand geschüttelt und sie geküßt. Drei Tage später hatte Michael in Jennas Handtasche einen Schlüssel gefunden. Am nächsten Tag war sie tot.
Da war ein Schlüssel gewesen, aber wem gehörte er? Er hatte Fotokopien von jedem einzelnen Gegenstand in jenem Koffer gesehen, Fotokopien, die Langley bestätigt hatte. Wer hatte den Koffer benutzt? Wenn sie es nicht war - wie kamen dann drei Proben von Fingerabdrücken, die eindeutig ihre waren, in den Koffer? Und, weshalb hatte sie zugelassen, daß dieses belastende Material im Koffer blieb?
Was hatten sie mit ihr angestellt? Was hatten sie mit einer blonden Frau an der Costa Brava gemacht, die in Tschechisch geschrien hatte, bevor sie von Kugeln durchbohrt worden war? Was für Leute waren das, die Menschen wie Marionetten behandelten und sie abschössen. Jene Frau war gestorben; er hatte zu viel vom Tod gesehen, um sich zu irren. Das war keine Scharade, wie der elegante Gravet es vielleicht genannt hätte.
Und doch war alles eine Scharade. Alle waren sie Marionetten. Aber auf welcher Bühne und zu wessen Nutzen traten sie auf? Er eilte auf der Via Galvani weiter, beschleunigte seine Schritte; er war nur noch wenige Straßen vom Bahnhof entfernt; dort würde er anfangen. Zumindest hatte er eine Idee; ob sie ihn weiterbrachte oder nicht, würde die nächste halbe Stunde beweisen. Er kam an einem grell beleuchteten Zeitungsstand vorbei, an dem Boulevardblätter mit bunten Magazinen um die Lesergunst wetteiferten. Und dann sah er das berühmte Gesicht, das ihn vom Titelblatt der internationalen Ausgabe der Time anstarrte. Die klaren, intelligenten Augen hinter den horngeränderten Brillengläsern glänzten. Auf den ersten Blick wirkten sie kalt; doch wenn man sie länger anschaute, strahlten sie Wärme aus. Michael war das Gesicht vertraut, mit den hohen Wangenknochen und der Adlernase, den großzügigen Lippen, über die so außergewöhnliche Worte flössen. Ein Mann für alle Jahreszeiten, für alle Völker.
Das war die lapidare Unterschrift unter dem Foto. Kein Name, kein Titel. Die ganze Welt kannte den amerikanischen Außenminister. Es gab Leute, die glaubten - und Michael zählte zu ihnen -, daß die Welt entweder auf Anthony Matthias hören würde oder eines Tages zum Untergang verdammt war.
Anton Matthias:
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