Das Parsifal-Mosaik
kannte er die Praxis, und seine Analysen trafen jedesmal ins Schwarze.
»Und doch gibt es eine Möglichkeit«, fuhr Ogilvie fort. »Ich bin nicht einmal sicher, ob es nicht noch eine andere Lösung gibt.« »Und die wäre?« fragte Stern. »Ich.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Denken Sie darüber nach«, sagte Ogilvie schnell. »Ich verkörpere gewissermaßen die Glaubwürdigkeit. Er kennt mich - und was noch wichtiger ist, er weiß, daß ich an diesem Tisch sitze. Für ihn bin ich einer von denen, ein dämlicher Stratege, der vielleicht nicht weiß, was er eigentlich verlangt, aber verdammt genau weiß, warum er es verlangt. Und da ist noch etwas: Den Job der Leute draußen habe ich auch schon gemacht. So was zählt für die. Keiner von Ihnen kann das von sich sagen. Wenn es überhaupt, abgesehen von Matthias, jemanden gibt, auf den er hört, jemanden, mit dem er bereit ist. sich zu treffen, dann bin ich das.«
»Es tut mir leid, Red. Selbst wenn ich Ihnen zustimmen würde - ich glaube, das tue ich sogar -, kann ich es nicht zulassen. Sie kennen die Vorschriften: Sobald Sie einmal diesen Raum betreten haben, werden Sie nie wieder draußen im Einsatz sein.« »Das ist eine Regel, die in diesem Raum beschlossen worden ist. Das Evangelium ist sie keineswegs.«
»Aber man hat sie aus triftigen Gründen eingeführt«, sagte der Anwalt. »Aus demselben Grund, aus dem man unsere Privathäuser rund um die Uhr bewacht, unsere Wagen eskortiert und unsere Telefonleitungen mit unserer Zustimmung angezapft hat. Wenn irgendeiner von uns interessierten Gruppen, sei es in Moskau, sei es in Peking oder dem Persischen Golf, in die Hände fällt, wären die Konsequenzen unvorstellbar.«
»Ich will ja nicht respektlos sein, aber diese Sicherheitsvorkehrungen sind für Leute wie Sie und den Boß getroffen worden. Bei mir ist das ein wenig anders. Die würden gar nicht erst versuchen, mich zu fassen, weil sie wissen, daß sie nichts davon hätten.« »Keiner bezweifelt Ihre Fähigkeiten«, entgegnete Dawson. »Aber ich unterstelle ...«
»Das hat überhaupt nichts mit Fähigkeiten zu tun«, unterbrach Ogilvie und griff an das Revers seiner abgewetzten Tweedjacke; er klappte es um, so daß der Anwalt neben ihm es sehen konnte.
»Schauen Sie genau hin, Counsellor. Etwa zwei Zentimeter unterhalb der Spitze ist eine leichte Verdickung.«
Dawson blickte auf den Stoff, sein Ausdruck blieb undurchdringlich. »Zyankali?« »Richtig.«
»Manchmal fällt es mir wirklich schwer, Sie zu begreifen, Red.« »Damit Sie das nicht falsch verstehen«, meinte Ogilvie, »ich habe keine Lust, es jemals zu benutzen. Und die anderen Kapseln auch nicht, die ich an anderer Stelle versteckt habe. Ich bin kein Masochist, der Sie schockieren will. Ich habe ebensowenig das Bedürfnis, meinen Arm über ein Feuer zu halten, um zu zeigen, wie tapfer ich bin, wie es mir fernliegt, jemanden zu töten oder mir zu wünschen, daß er versucht, mich umzubringen. Ich habe die Kapseln, weil ich ein Feigling bin, Mr. Dawson. Sie sagen, wir werden vierundzwanzig Stunden täglich beobachtet und bewacht. Das ist großartig, ich habe allerdings den Eindruck, Sie reagieren da empfindlich auf etwas, das gar nicht existiert. Ich glaube nicht, daß es am Dscherschinski-Platz eine Akte über Sie gibt; wenigstens nicht über Sie oder den Doktor. Ich bin sicher, daß über Stern eine Akte angelegt ist; aber daß er in russische Hände fällt, ist genauso absurd wie die Vorstellung, wir könnten uns Rostow greifen. So etwas passiert einfach nicht. Aber über mich gibt es eine tolle Akte, darauf können Sie wetten, und ich bin nicht im Ruhestand. Was ich weiß, ist sehr brisant, und jetzt, seitdem ich diesen Raum betreten habe, trifft das noch mehr zu. Deshalb habe ich diese kleinen Dinger. Ich weiß, wie ich mich aus der Affäre ziehen würde. Und das wissen die auch. Seltsamerweise sind diese Pillen mein Schutz. Die wissen, daß ich sie habe, daß ich sie notfalls benützen würde, weil ich ein Feigling bin.«
»Und jetzt haben Sie auch gerade den Grund dargelegt, weshalb Sie nicht draußen aktiv werden können«, erklärte Stern. »Habe ich das? Dann haben Sie entweder nicht zugehört, oder Sie müßten wegen Unfähigkeit entlassen werden. Sie haben nämlich berücksichtigt, was ich nicht ausgesprochen habe. Was wollen Sie eigentlich, Herr Lehrer? Ein Attest von meinem Arzt, daß ich dienstunfähig bin?«
Die Männer blickten sich kurz verlegen an. »Kommen Sie schon, Red,
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