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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lowery
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Daddy mit den Pferden zu helfen. Die Ställe ausmisten, die Pferde satteln und aufzäumen, sie striegeln, ich habe
alles
gemacht. Ich war bei jedem Wetter da und arbeitete, bis mir der Rücken wehtat und meine Finger wund waren. Das Problem ist, wenn man ständig so hart arbeitet, bekommt man so kräftige, raue Hände wie ein Handwerker.
    Wie gesagt, ich hatte sowieso riesige Pranken, aber weil ich ständig mit den Pferden arbeitete, war meine Haut ganz rau, die Fingernägel waren eingerissen, die Fingerknöchel rot und knotig und mit blutenden Frostbeulen bedeckt. Ich hatte Schwielen über Schwielen, und meine Finger waren richtig muskulös. Du hast bestimmt nicht gewusst, dass man muskulöse Finger kriegen kann, aber so ist es. Damals war ich noch ziemlich zierlich, das machte das Ganze noch schlimmer. Jedenfalls hatte ich Hände, die wie zwei knallrote Frisbeescheiben aussahen. Ich hätte genauso gut ein Schild mit der Aufschrift ›Kommt her und seht euch meine Riesenpranken an‹ um den Hals tragen können.
    Auch wenn meine Hände, ähm,
ungewöhnlich
aussahen, kümmerte mich das eigentlich nicht.« Sie holte tief Luft und stieß sie laut pfeifend wieder aus. »Aber eines Tages lud mich ein Mitschüler ins Kino ein. Ich war total aufgeregt. Kein Junge hatte mir je Beachtung geschenkt. Und das war nicht irgendein Junge, das war Callum McCormack, einer der beliebtesten Jungen aus meinem Jahrgang.«
    Allmählich braute sich ein widerwärtiges, unangenehmes, flaues Gefühl in meinem Magen zusammen. Diese Geschichte konnte kein Happy End haben.
    Traurig atmete Miss O’Malley tief ein. »Weißt du, ich hatte mich noch nie hübsch gemacht, deshalb ließ ich mir von meiner Mammy helfen. Sie kicherte und lachte und sagte, ich sähe wie eine Prinzessin aus, und mein Daddy setzte mich in der Nähe des Kinos ab und sagte, ich wär das hübscheste Mädchen ganz Irlands. Jedenfalls trug ich dieses wunderschöne Kleid und ging zur Eingangstür, und da stand Callum, die Hände hinter dem Rücken, und sah richtig toll aus. Mir stockte das Herz. Ich dachte, er versteckt einen Blumenstrauß hinterm Rücken, wie diese romantischen Männer in Kinofilmen.« Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen, doch es verschwand schnell. »Dann ging ich auf ihn zu und sagte hallo, und ehe ich wusste, wie mir geschah, standen plötzlich all seine Freunde mit breitem Grinsen um mich herum, und auch sie hatten ihre Hände hinter dem Rücken. Und ich fragte: ›Was soll das?‹, denn ich fand das Ganze nicht komisch. Da zogen Callum und die anderen plötzlich die Hände hinter ihren Rücken hervor und …«
    »Und dann?«, fragte ich mit einem Kloß im Hals.
    »Na ja, alle trugen diese großen Gummihandschuhe zum Geschirrspülen, aber sie hatten sie mit Zeitungspapier oder irgendwas ausgestopft, so dass die Dinger ganz prall und riesig waren. Und dann fingen sie an, mich auszulachen, und schlugen mir mit den schrecklichen Gummifingern auf den Kopf und ins Gesicht, wieherten wie Pferde, nannten mich Dreckpfote und Wurstfinger und fragten, ob ich den Mist mit einer Schippe oder mit den bloßen Händen aufschaufeln würde und so dummes Zeug, und ich wusste gar nicht, was das Ganze sollte, konnte aber nicht weglaufen, weil sie mich umzingelt hatten.«
    Sie wischte sich etwas aus dem Auge.
    »Und was haben Sie da getan?«, fragte ich.
    Einen Augenblick riss sie sich zusammen. »Ich sah diesen Callum an, der sich über mich halb totlachte, stand idiotisch in meinem besten Kleid da, weinte und weinte und lief dann nach Hause, wo ich es nicht fertigbrachte, meinen Eltern zu erzählen, was los war. Ich wusste bloß, dass ich etwas unternehmen musste.
    Am nächsten Montag in der Schule sah ich, wie Callum und seine Freunde lachend mit den Händen rumfuchtelten und die ganze Sache noch mal in meiner Klasse nachspielten, aber sie hatten mich nicht gesehen, und ich ging zu ihnen hin …«
    »Und?«
    Ihr Gesicht erstarrte. »Ich hab dem kleinen Angeber eine reingehauen und ihm ein paar blutige Zähne ausgeschlagen.«
    Beim Anblick ihres grimmigen Gesichtsausdrucks wäre ich fast vom Stuhl gefallen. Sie hatte sich völlig verändert. Ihre Augen funkelten wütend, und sie fletschte die Zähne wie ein tollwütiger Wolf.
    »Dann hab ich einigen anderen noch ein paar Knochen gebrochen bevor alle weggelaufen sind.« Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und verwandelte sich rasch wieder in den sanften, stillen Menschen, den ich kannte. »An jenem Tag habe

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