Das peinlichste Jahr meines Lebens

Schwimmverein.
    »O nein«, sagte Paul, »Gorilla im Nebel.«
    »Du schon wieder«, knurrte Brutus.
    Paul kriegt die Quittung, und wie immer komme auch ich schlecht weg
    Das Typische an einem Kopfstoß ist, dass alles so schnell geht. So schnell, dass Paul sich nicht ducken konnte. Bevor wir beide wussten, wie uns geschah, lag er schon auf mir und hielt sich die blutende Nase. Über uns wurde das Fenster zugeknallt.
    »Michael Swarbrick, Paul Beary«, rief jemand vom Hauptgebäude der Schule aus. Wir standen langsam auf. Miss Skinner beugte sich aus ihrem Fenster im ersten Stock. »Das ist ja ekelhaft. Ihr müsst nachsitzen. Morgen nach der Schule. Und ich benachrichtige eure Eltern.«
    Auch sie knallte das Fenster zu.
    Großartig.
    Anscheinend waren ihre Augen doch nicht so schlecht.
    Mum erfährt es
    Mum öffnete den Brief und räusperte sich theatralisch. »Was haben wir denn hier? Ooh, der ist von Miss Skinner. ›Michael wurde heute dabei erwischt, wie er die Mädchen der 11 . Klasse beim Umziehen beobachtete, und muss morgen nach der Schule nachsitzen.‹ Mädchen beobachtet? Was für eine Überraschung. Vielleicht zufällig Lucy King? Ein Wunder, dass ihr Vater nicht hinter dir her ist.«
    Ste schüttelte den Kopf. »Ich hab’s dir ja gesagt, Mum. Er ist krank und muss gestoppt werden.«
    »Willst du dazu irgendwas sagen, Roy?«, fragte Mum Dad.
    Dad brummelte irgendwas und ließ sich seinen Auflauf schmecken.
    »Na, vielen Dank«, sagte sie sarkastisch. »Michael, jetzt sag bloß nicht, dass es wieder Paul Beary war.«
    »Doch«, sagte ich.
    Mum verdrehte die Augen. »Du kannst ihm nicht für alles die Schuld geben.«
    »Ja«, sagte Ste, der sich unnötigerweise einmischte, »als ob der Elefantenjunge so eine Leiter hochsteigen könnte.«
    In diesem Moment piepte Stes Handy.
    »Yo yo yo, liebreizende Lucy. Wie läuft’s, Baby? Morgen? Geht leider nicht. Hab was vor. Die Jungs. Poker. Jungenkram. Was spricht gegen heute Abend? Vergiss das Training. Da gehst du ja jeden Tag hin. Einmal ist doch nicht schlimm. Vergiss deinen Dad. Sag ihm, du bist krank, und Dr. Stevenator hat eine süße Arznei für dich. Okay, okay, okay. Tut mir leid, Baby. Ja, ich verstehe. Dann lass uns ein paar Stunden abhängen, bevor du gehst. Ruf mich an. Mwah.«
    »Du spielst doch gar nicht Poker«, sagte ich, als er aufgelegt hatte. »Und überhaupt, das Gilde-Schwimmfest und die Landesmeisterschaften stehen bevor. Da solltest du sie nicht vom Training abhalten.«
    »Ach, bespitzele doch jemand anders.«
    Er schlug die Tür hinter sich zu.
    »Guck, was du angerichtet hast«, sagte Mum und knallte ihr Besteck auf den Tisch. »Du hast Angst vor dem menschlichen Körper, du hast Angst vor Nacktheit, und dennoch beobachtest du aus reinem Nervenkitzel Mädchen beim Umziehen und beleidigst Leute, die eine ganz normale Beziehung haben. Wie konnte es nur so weit kommen?«
    Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Hände. Das Ganze war zu viel für mich.
    Nachsitzen
    Das Nachsitzen am nächsten Tag war gar nicht so schlimm. Und zwar aus folgenden Gründen:
    Wir mussten bloß in Miss Skinners Zimmer Buntstifte spitzen. Das tue ich gern, weil es mir lieber ist, wenn die Stifte die gleiche Länge haben.
Paul hatte eine Stange Rolos dabei. Die waren zwar weich und warm, weil er sie den ganzen Tag in der Tasche gehabt hatte, aber sie waren besser als gar nichts. Offenbar bereitete es ihm ein schlechtes Gewissen, dass ich nachsitzen musste, denn er gab mir sogar zwei Stück. [37]
Miss Skinner sah uns kaum einmal an, und wir konnten uns die ganze Zeit unterhalten. Sie war die ganze Stunde damit beschäftigt, ein Bettlaken auf einem Tisch mitten im Zimmer zurechtzulegen, starrte es dann mit ihren schielenden Augen an, brachte ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck und legte es wieder anders hin.
    Am Ende der Stunde fragte Paul, ob wir gehen könnten. Miss Skinner schwang das Bettlaken um ihren Kopf wie eine Hammerwerferin. Dann ließ sie los, und es flog durch die Luft und bauschte sich über den Tisch. Sie klatschte in die Hände und kicherte. »Perfekt«, zwitscherte sie, obwohl es A) genauso wie vorher aussah und sie B) ein Gemälde an der gegenüberliegenden Wand zu betrachten schien, auf dem eine Frau mit grotesk langem Hals zu sehen war.
    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hinfort, abscheuliche Kretins. Der Kunstkurs für Erwachsene beginnt jeden Moment.«
    Kunstkurs für Erwachsene? Warum kam mir das bekannt