Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lowery
Vom Netzwerk:
Fernsehen? Das ist ja wunderbar.«
    In den Lokalnachrichten lief inzwischen eine Geschichte über ein skateboardfahrendes Kätzchen.
    Ich schluckte den sauren Geschmack der Übelkeit runter. »Was um Himmels willen habt ihr da gemacht? Ihr wart in der Öffentlichkeit. Überall waren Leute.«
    Mum hob das Telefon vom Fußboden auf, legte es zurück und klatschte in die Hände. »Ich weiß, ich weiß. War das nicht toll? Ach, Dave King und Miss Skinner sind einfach genial.
Genial
. Es war wie eine Mili-«
    »-täroperation, ich weiß«, sagte ich voller Wut. [61] »Aber ich hab dich gefragt, was um Himmels willen ihr da gemacht habt.«
    Mum lehnte sich auf dem Sofa zurück. Sie war jetzt ganz in Schwarz gekleidet. »Nicht, dass ich dir eine Erklärung schulde, aber zu deiner Information: Das war die Operation Feigenblatt.«
    »Ich weiß«, sagte ich und dachte an die Leute, die in Lucys Wohnzimmer die mit Pfeilen übersäte Karte betrachtet hatten.
    Mums Blick verschwamm, als würde sie das Ganze noch einmal durchleben. »Ach, es war wunderbar. Künstlerischer Ausdruck vom Feinsten.«
    »Künstlerisch?«, schrie ich. »Es hat doch nichts mit Kunst zu tun, wenn man nackt dasitzt und von einem Haufen Einkaufender angegafft wird.«
    »In der Kunst geht es darum, die Menschen herauszufordern, Michael«, entgegnete Mum missbilligend. »Es geht darum, sie zum Nachdenken zu bringen und dann ihre Denkweise zu ändern und dann …«
    In diesem Augenblick kam Dad verlegen zur Tür herein, warf mir ein mattes Lächeln zu und eilte sofort nach oben.
    »Ist er über all das froh?«, fragte ich.
    Mum verdrehte die Augen. »Ach, dein Vater hat es nicht fertiggebracht. Er hat gesagt, es wäre zu kalt. Er ist im Auto geblieben.« Ihre Stimme triefte vor Verachtung.
    »Ich verstehe bloß nicht, warum du ständig so was tun musst. Ich kenne dich schon gar nicht mehr«, sagte ich und spürte, wie sich mir die Kehle zuschnürte.
    »Ach, Mikey«, sagte Mum. Sie wollte mir die Hand auf die Schulter legen, doch ich schüttelte sie ab. »Hör mal. Du musst begreifen, dass ich immer noch deine Mutter bin, aber sich alles ein bisschen geändert hat. Als du uns im Wohnzimmer gesehen hast, hat sich für mich eine Tür geöffnet. Plötzlich musste ich es nicht mehr verbergen. Mir wurde klar, dass die ganzen Vorschriften übers Kleidertragen dumm und sinnlos sind. Dass man nicht frei sein kann, wenn man sich nicht so verhält, wie man will.«
    »Aber was ist, wenn ich mich wegen dieses Verhaltens unwohl fühle?«, fragte ich mit Tränen in den Augen. »Ich muss zur Schule gehen. Die Leute werden …«
    »Ach, lass sie doch, Michael. Lass sie reden. Wen interessiert das schon? Es zählt bloß, dass man so lebt, wie man will.«
    »Aber ich
kann nicht
so leben, wie
ich
will, oder? Nicht, wenn du nackt durch die Gegend läufst. Warum musstest du Dave King da reinziehen? Was ist mit der armen Lucy?«
    Mum verdrehte die Augen. »Ach ja, aber du hast auf ihre Gefühle Rücksicht genommen, als du ihr nachgestellt hast, was? Du hast überhaupt keine Ahnung von Dave King oder seiner Familie.«
    Ich stürmte aus dem Wohnzimmer zur Haustür hinaus. In der Einfahrt stieß ich mit Paul Beary zusammen.
    »Na toll«, sagte ich. »Was willst du?«
    Geplauder mit Chas
    Abschrift der 9 . Sitzung
    Anwesende Personen und Ort wie in der 3 . Sitzung
    Chas: Yo, Digger.
    MS : (schüttelt den Kopf) Hallo.
    Chas: Was läuft, Bruder?
    MS : Sie sind nicht mein Bruder. Der wollen Sie auch gar nicht sein. Ich kann meinen Bruder nicht ausstehen.
    Chas: Verstehe. Verstehe. Wir haben über Freiheit geredet. Dass du dich öffnen musst. Um dich von dem ganzen dummen Zeug zu befreien, das in deinem Kopf rumspukt und dich behindert. Was hältst du von Freiheit, Kumpel?
    MS : (holt tief Luft) Freiheit ist blöd.
    Chas: Was? Ist das dein Ernst, Mann? Blöd? Woah. Du bist neben der Spur. Das kannst du nicht denken.
    [Fünfzehnsekündige Pause]
    MS : Das kann ich denken. Ich will nicht »frei« sein, wie Sie es nennen, denn Sie meinen damit, dass man herumlaufen und alles tun kann, was einem gefällt, ohne sich um Regeln oder andere Menschen, um feste Gewohnheiten oder sonst was zu kümmern. Also, ich
mag
Regeln. Ich bin
gern
pünktlich. Ich bin
gern
normal und zuverlässig. Ich
mag
es, feste Gewohnheiten zu haben.
    Chas: Willst du mich verarschen?
    MS : Nein. Es gibt drei Gruppen von Menschen: die, die nicht frei sind, die, die frei sind, und die, die glauben, dass sie frei sind. Die

Weitere Kostenlose Bücher