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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Lowery
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dürfen ruhig ein bisschen großspurig sein.
    »Ist Ste da?«
    So viel zum Thema »die Stimmung verderben«.
    »Er spielt Cricket.« Ich knirschte mit den Zähnen.
    »Cricket. Oh. Ich wusste nicht, dass er das spielt. Das ist … ungewöhnlich. Ich meine bloß, er hat nie … Also, er hat gesagt, dass er heute Abend vorbeikommt, weil es mein einziger trainingsfreier Tag diese Woche ist und … Na ja. Ähm. Kannst du ihm sagen, dass er mich anrufen soll?«
    »Klar.«
    Nie im Leben.
    Was sollte das eigentlich? Das war nicht das erste Mal, das er sich mit einer Lüge verdrückte. Wisst ihr was? Lucy und ich waren Freunde. Besondere Freunde. Und welcher besondere Freund würde seinen besonderen Freund nicht vor einem üblen Menschen zu schützen versuchen? Es war an der Zeit, die Saat des Zweifels zu säen.
    »Also«, sagte ich so beiläufig wie möglich, »jetzt, wo ich drüber nachdenke, kann ich mich eigentlich nicht erinnern, dass er schon mal Cricket gespielt hat. Und er hat sich auch ein bisschen seltsam verhalten …«
    »O mein Gott!«, schrie Lucy plötzlich.
    »Was ist los?«
    »Im Fernsehen. Es ist …«
    Ich drehte mich um und betrachtete das Fernsehgerät im Wohnzimmer. Ich erstarrte. Das Telefon fiel mir aus der Hand.
    Das Ganze hatte gerade eine völlig neue Dimension des Schreckens erreicht.
    Der absolut schlimmste Moment meines ganzen Lebens, Teil IV
    Im Fernsehen liefen die Lokalnachrichten. Die Kamera schwenkte über den Flag Market in Preston, den größten Platz in der Ortsmitte. Eine Menschenmenge hatte einen großen Kreis gebildet. Einige Leute lachten, andere wichen verlegen zurück, und manche filmten mit ihren Handys. Alle schauten auf die selbe Sache.
    Vor der Bücherei lagen ungefähr dreißig Leute auf den Bänken und den Steinplatten. Alle waren …
    »… nackt und stellten ihre Körper stolz vor den erstaunten Einkaufenden zur Schau«, erklärte die Reporterin in ihrem Ha-ha-ha-ist-das-nicht-furchtbar-witzig-Ton. »Schaulustige berichteten, dass die Nudisten von allen Seiten des Platzes her aufgetaucht seien, so als handelte es sich um einen ›Militäreinsatz‹. Obwohl schon nach kurzer Zeit die Polizei eintraf, entkamen die Exhibitionisten, ohne dass auch nur ein Einziger von ihnen verhaftet wurde.«
    Auf dem Bildschirm war zu sehen, wie die Nudisten auseinanderstoben, während ein Trupp Polizisten in Leuchtwesten auf den Platz strömte. Eine nackte Frau, deren Körper (zum Glück) unkenntlich gemacht war, kam direkt auf die Kamera zugelaufen.
    »Wenn man will, kann man uns verhaften, doch wir werden immer frei sein. Frei, wir selbst zu sein. Frei, nackt zu sein. Frei von den Fesseln der Gesellschaft. Frei! Frei! Frei, sag ich! Das ist erst der Anfang. Wir wollen jederzeit nackt sein. Versucht ruhig, uns daran zu hindern!«, schrie sie mit wahnsinnigem Blick, und aus ihrem Mund spritzte Spucke aufs Objektiv. Als ein Polizist auf sie zulief, rannte die Frau davon und verschwand in einer Seitenstraße. Diese Frau war meine Mutter.
    Was Miss Skinner mit der ganzen Sache zu tun hatte
    Während ich rückwärts gegen die Wand taumelte, erschien Miss Skinner auf dem Bildschirm, an dessen unterem Rand die Worte »ortsansässige Künstlerin« standen.
    »Ich habe geholfen, das Ganze zu organisieren«, erklärte sie voller Stolz.
    »Und worum ging es dabei?«, fragte die Reporterin.
    Miss Skinner grinste, und ihre Augen drehten sich in verschiedene Richtungen. »Freiheit.«
    Nicht schon wieder dieses verdammte Wort.
    Sie rieb sich die Hände. »Es ging darum, sich gegen das Gesetz zu wehren, für unsere Rechte zu kämpfen. Und es ging um Kunst, meine Liebe. Kunst. Das war das erste Mal, dass Preston Zeuge des K. M. A. wurde.«
    »K. M. A.?«
    »Künstlerischer Massenakt. Ich habe das Ganze mit meiner Kamera festgehalten. Es wird ein schönes Bild, das die engstirnige Weltsicht der Gesellschaft in Frage stellt. Ich meine, warum sollen Menschen in der Öffentlichkeit bekleidet sein? [60] Operation Feigenblatt war ein Riesenerfolg.«
    In diesem Augenblick ging die Haustür auf.
    Worum es bei Operation Feigenblatt ging
    Mum kam ins Wohnzimmer gestürmt. »Haha. Was für ein Tag. Was für ein Triumph für die Freiheit.«
    Ich wandte ihr langsam den Kopf zu. »Ich hab dich im Fernsehen gesehen.«
    Zu meiner Überraschung zeigte Mum daraufhin ein so breites Lächeln, dass die Sehnen an ihrem Hals hervortraten. Sie sah aus wie ein Huhn, das sich abmühte, ein Ei zu legen. »Wir waren im

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