Das peinlichste Jahr meines Lebens
Mädchen, das ich vor einer Ewigkeit kannte. Die habe ich längst vergessen. Ehrlich. Sie bedeutet mir nichts. Du bist für mich die Einzige.«
»Und warum haben Mike und sein Freund ihn mir dann gezeigt?«
Ste senkte die Stimme. »Hör zu, Mike spinnt. Ich weiß, dass du ihn nett findest, aber er ist echt verkorkst. Guck doch nur, was er diesem Bürgermeister angetan hat.«
So ein Schurke.
Lucy musste trotz ihrer Tränen lachen. »Ich habe davon gelesen. Na ja, das war wirklich ein bisschen seltsam. Aber wie kann ich dir trauen?«
Ste nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Schau mich an. Für den Stevenator gibt’s nur eine. Er lässt sich nicht mit anderen Mädchen ein. Mach dir darüber keine Sorgen. Willst du wissen, wo ich war, als ich gesagt habe, dass ich Fußball spiele und so?«
»Ja«, sagte sie wütend.
»Ich hab das hier angefertigt. Für dich.«
Was Ste als Nächstes tat, überraschte mich völlig. Er streckte die Hand nach unten und reichte Lucy eine Tüte, die hinter dem Vorhang neben der Haustür versteckt war.
Lucy sah ihn mit seltsamem Blick an und kramte in der Tüte. Sie zog ein geschnitztes Holzkästchen hervor. »Das ist …«
»… albern, ich weiß«, sagte Ste. »Wenn du willst, kannst du’s wegwerfen.«
»Nein«, entgegnete Lucy, »es ist schön. Warum …? Ich meine, wie …?«
Ste lächelte. »Hör mal. Das darfst du niemandem erzählen, aber ich hab an einem Werkkurs teilgenommen, um etwas für dich anzufertigen. Traurig, ich weiß, aber ich bin halt verliebt. Das ist für deine ganzen Medaillen. Guck mal, in den Deckel hab ich deinen Namen und darunter einen Delfin geschnitzt.«
Mir krampfte sich der Magen zusammen. Das konnte nicht wahr sein. Das war mit Sicherheit nie passiert. Ich wollte es einfach nicht glauben. Jedes Molekül meines Körpers sagte mir, dass es unmöglich sei, doch Lucy hielt den Beweis in Händen: Ste hatte etwas Nettes getan.
Das war noch schlimmer, als wenn er etwas Schreckliches tat. Er vertuschte, was für ein schrecklicher Mensch er ist, indem er etwas Nettes, vielleicht sogar Romantisches tat. Typisch. Was für ein schmieriger Schleimer!
Warum war mir so was nicht zuerst eingefallen?
Lucy sah aus, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. »O mein Gott. Wie lange hast du dafür gebraucht?«
»Ach, nicht lange. Ungefähr vierzig Stunden.«
Mein Magen krampfte sich noch fester zusammen. Vielleicht hatte ich mich wirklich in ihm geirrt. Vielleicht war Pauls Video wirklich schon alt. Natürlich, Paul wollte wieder mit mir befreundet sein. Er würde alles tun, damit ich ihm verzeihe. Zum Beispiel mir zeigen, was für ein schrecklicher Mensch Ste ist.
Das war eine absolute Katastrophe. Jetzt, wo Ste Lucy irgendwie bewiesen hatte, dass er nett war, würde sie ihm
niemals
den Laufpass geben. Wahrscheinlich würden sie heiraten, und ich musste die Ringe auf einem kleinen Samtkissen in die Kirche bringen und ihnen für den Rest meines Lebens jedes Jahr beim Weihnachtsessen gegenübersitzen, während sie kicherten, unter dem Tisch Händchen hielten und sich gegenseitig mit ihren Gabeln Bratkartoffeln in den Mund schoben. Und eines Tages würden sie Kinder bekommen, und Ste würden ihnen beibringen, mich zu beißen.
Furchtbar. Einfach furchtbar.
Lucy warf ihm die Arme um den Hals. Ste blickte über ihre Schulter und sah mich an. Während er ihr mit einer Hand den Hintern tätschelte, zeigte er mir den Mittelfinger der anderen.
So ein Affe. Holzkästchen hin oder her, im Innersten war er trotzdem ein grässlicher Kerl. Wenn sie das nur erkennen könnte.
»Gehst du heute Abend zum Training, Baby?«, fragte er und küsste sie auf die Wange. Ein Auge war noch immer auf mich gerichtet.
»Nein, Mum hat Dad überredet, mir die Woche freizugeben. Er ist nicht gerade froh drüber, aber sie hat ihm klargemacht, dass mir das bei den Landesmeisterschaften helfen könnte.«
»Cool. Wie wär’s mit einer Spritztour im Liebesmobil?«
Lucy boxte Ste im Scherz auf den Arm. »Ich hab mir geschworen, es nicht zu tun, aber …«, ein Lächeln zog sich über ihr Gesicht, »… wie könnte ich jemandem etwas abschlagen, der für mich ein so schönes Kästchen geschnitzt hat?«
Er küsste sie auf die Lippen.
Ich zog mich in mein Zimmer zurück und griff nach meinem Inhaliergerät. Wenn in diesem Moment ein Meteorit die Erde getroffen und die gesamte Menschheit ausgelöscht hätte, wäre wahrscheinlich nichts schlimmer geworden, als es ohnehin schon
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