Das Perlenmaedchen
einer Platte ein gebratenes Kaninchen angelte und hineinbiss. Sie und ich wären ein hervorragendes Gespann.
Und während Tapferer Adler und Tonina dem großzügigen Angebot an Speisen zusprachen, überlegte er, wie er es am besten anstellte, Tonina an sich zu binden, wenn er erst einmal den Jungen an die Adlerjäger verkauft hatte. Er musste dafür sorgen, dass sie niemals den königlichen Garten betrat und niemals die rote Blume fand. Denn dann würde sie umgehend auf ihre Insel zurückkehren. Hatte sie nicht gesagt, sie wolle nach Quatemalán? Na wunderbar. Vor allem, da sie keine Ahnung hatte, wo Quatemalán lag.
13
Chac kniete vor seiner Frau nieder. »Du machst mich zum glücklichsten Mann der Welt«, sagte er. »Ich weiß nicht, womit ich diese Segnungen der Götter verdient habe.«
Paluma, die in der Morgensonne auf einem Schemel hockte, strich ihm lächelnd über das Haar. »Ich wollte dich überraschen.«
»Das ist dir gelungen!«, lachte er, um gleich darauf den Kopf an ihren Leib zu schmiegen, die Augen zu schließen und sich das im Inneren, in diesem warmen, salzigen Meer schlummernde Baby vorzustellen. Sein Sohn … sein Maya- Sohn.
Chac der Bürgerliche, von den Leuten der Große genannt, Ausnahme-Ballspieler und hingebungsvoller Ehemann, verfolgte nur ein einziges Ziel: seinen Sohn als aktiven Teilnehmer auf dem geheiligten Spielfeld zu erleben.
»Wir werden das Inselmädchen bei uns aufnehmen.« Palumas Entschluss stand fest. »Sie soll uns jeden Tag weissagen. Wir werden unser Leben nach den Prophezeiungen aus dem durchsichtigen Becher ausrichten. Und wenn unser Sohn geboren ist und zum Mann heranwächst, wird das Mädchen auch ihm täglich weissagen und ihn lenken.«
»Sie soll bei uns bleiben … «, flüsterte Chac in den weichen Stoff ihres Kleides. »Dieses Inselmädchen … «
Er runzelte die Stirn. Zweimal bereits und unbegreiflicherweise hatte er den Blick nicht von ihr wenden können. Wahrscheinlich weil sie sich abhob von all den Inselfrauen, die er bislang allesamt als klein, gedrungen und dunkelhäutig erlebt hatte, während das Mädchen namens Tonina hochgewachsen war und ihre Haut honigfarben. Dennoch war ihr Gesicht nach Inselart mit weißen Symbolen bemalt, und sie sprach nur Taíno.
Warum zerbrach er sich eigentlich den Kopf über dieses Mädchen? Chac erhob sich verwirrt und sah zärtlich auf seine Frau hinunter.
Er begehrte Paluma und wollte sich mit ihr vereinen. Aber er durfte nicht. Morgen fand das Zwölfte Spiel statt. Er musste enthaltsam bleiben und die kommenden Stunden mit Beten und Fasten verbringen. Der kleinste Verstoß konnte seine Mannschaft um den Sieg bringen. Und wenn Mayapán verlor, verloren auch die Götter von Mayapán, und dies würde die Stadt ins Verderben stürzen.
Außerdem musste er Rücksicht auf Palumas Befinden nehmen. Die Fehlgeburt hatte sie sehr mitgenommen.
Er warf einen Blick auf die im Schlafzimmer seiner Frau verstreuten Utensilien, bei denen sie nach ihrer fehlgeschlagenen ersten Schwangerschaft Zuflucht gesucht hatte: ein Sammelsurium von Federn in allen Farben des Regenbogens – lange und steife von Vogelschwingen und -schwänzen, kleinere und weichere Flaumfedern, flockige Brustfedern lagen überall herum. Außerdem Leder- und Baumwollstreifen, Ahlen, um Löcher zu bohren, sowie Dornen von Agaven, an denen noch Fasern hafteten.
Aus solchen Federn fertigte Paluma zauberhafte Armbänder, die sie an Freunde verschenkte. Eine Beschäftigung, die ihr, wie Chac wusste, das Baby ersetzen sollte. Nach der Fehlgeburt hatte er Bedenken gehabt, bei ihr zu liegen. Aber sie wünschte sich so sehr ein Kind. Und ihm ging es genauso.
Jetzt stand ihnen die Wahrsagerin zur Verfügung, die seine Frau in Sicherheit wiegen würde, indem sie ihr täglich die Zukunft voraussagte. Dadurch wäre er rechtzeitig gewarnt, wenn es galt, Paluma und das Kind zu beschützen.
»Wo bleibt denn das Mädchen?«, fragte Paluma ungeduldig. »Sie sollte längst hier sein.«
»Ich sehe mal nach.« Er küsste sie auf die Wange und entfernte sich.
Auf seinem Weg durch die geräumige Villa, in der eine Schar Diener damit beschäftigt war, Fußböden zu fegen und Räume zu säubern, warf Chac durch das Fenster einen Blick in den Garten und erschrak, als er zwischen den Büschen und Blumen eine alte Frau gewahrte.
Er eilte ins Freie. »Was hast du hier zu suchen?«, herrschte er sie an.
»Vergib mir«, sagte sie. »Ich habe gehört, dass deine Frau schwanger sein
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