Das Perlenmaedchen
den schrägen Wänden des Spielfelds standen Späher, die die erregte Menge über den Spielverlauf und die einzelnen Aktionen unterrichteten. Händler boten Waren feil, von Locken aus dem Haar der Ballhelden bis zu in Honig getauchte Tortillas. Tonina, die hinter Paluma am offenen Ende des Feldes stand, fragte sich beklommen, ob Chac seine Ehre aufs Spiel setzen würde, um seinen Freund zu retten, während für Einauge bereits feststand, dass er, sollte Mayapán verlieren, so schnell wie möglich die Stadt verlassen, die nächstgelegene Küste anpeilen, ein Kanu erwerben und auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. Als die Adligen und bevorzugten Zuschauer ihre Plätze an beiden Enden des Spielfelds einnahmen, ließ Yaxche in dem Trubel heimlich einen Becher zwischen die mit kawkaw gefüllten Gefäße in Palumas Korb gleiten. Der Sud, den sie der Rivalin zugedacht hatte, war versetzt mit einem Extrakt aus Frauenminze, einem Kraut, das Menstruation auslöste. Gegen Sonnenuntergang würde Paluma eine Fehlgeburt erleiden.
Auch H’meen, die königliche Botanikerin, war zugegen. Klein und zerbrechlich wie sie war, hatte sie einen Ehrenplatz zugewiesen bekommen; ihr kleiner dicker Hund lag zusammengerollt auf ihrem Schoß.
Als die beiden Mannschaften vor den Priestern Aufstellung nahmen und ihr leises Murmeln ertönte, starrte Tonina Chac an.
Sie hatte nur Augen für ihn, derweil Einauge sie im Flüsterton darüber informierte, ob ihm ein Spielzug ge- oder misslungen war. Im Verlauf des sich hinziehenden Vormittags schienen die Mannschaften gleichwertig zu sein, und zur Mittagspause, als es an der Zeit war, sich kurz die Beine zu vertreten, war der Punktestand von Mayapán und Chacmultún ausgeglichen.
Yaxche schielte immer wieder hinüber zu Paluma, die einen Becher kawkaw nach dem anderen leerte, und grinste hämisch, als Chacs Frau jetzt nach dem griff, den Yaxche ihr untergeschoben hatte. Wenn die Frauenminze Wirkung zeigte und es zum Abgang des Fötus kam, würde selbst die nachsichtige Paluma eine Wahrsagerin verwünschen, die eine Fehlgeburt nicht voraussagen konnte. Sie würde ihr den Laufpass geben, und dann konnte Yaxche das Mädchen zu sich nehmen.
Balám verpasste ein Zuspiel, und sofort buhte die Menge. Als Chac nach dem Ball hechtete und ihn ebenfalls verfehlte, erntete er dafür ein vielstimmiges verächtliches Johlen.
Überrascht von dem plötzlich so ungenauen Zuspiel, vergaß Yaxche Paluma und konzentrierte sich auf das Geschehen auf dem Spielfeld. Nicht zu glauben, die Mannschaft aus Mayapán war drauf und dran zu verlieren! Die Zuschauer machten ihrer Enttäuschung Luft, mit finsterer Miene besprach sich der König mit seinen Höflingen.
Yaxche beugte sich vor, sodass die zwei Schemel unter ihrem Gewicht ächzten, legte eine vollfleischige Hand auf ihren überbordenden Busen, riss den Mund auf. Für Tonina, die sie beobachtete, stand fest, dass Baláms Frau nichts von dem geheimen Abkommen zwischen ihrem Mann und Chac wusste.
Alle Zuschauer blickten jetzt gespannt auf das Spielfeld. Von beiden Mannschaften wurde der Ball abwechselnd vor- und zurückgetrieben. Es kam zu Ballabgaben, die ihr Ziel erreichten. Andere wurden vom Gegner abgefangen. Paluma wurde unruhig. Die Stirn von Yaxche krauste sich bedenklich. Ganz offensichtlich bahnte sich Dramatisches an. Drei Fehlpässe von Chac. Toninas Herz klopfte zum Zerspringen, das Spiel ging dem Ende zu, und die Anhänger von Chacmultún gaben sich bereits siegesgewiss.
»Großer Lokono«, flüsterte Tonina, »erleuchte das Herz des Mannes, den sie Chac nennen.«
Jetzt waren zwei Chacmultún-Spieler in Ballbesitz, spielten ihn sich auf dem Weg zu ihrem Reifen zu, während andere aus ihrer Mannschaft die aus Mayapán abblockten. Chac rannte neben Balám her, lauerte darauf, dazwischenzugehen. Den Blick nach vorn gerichtet, zur Torauslinie der Mannschaft aus Chacmultún, hinter der die Ehefrauen und Familien der Spieler saßen, nahm er ganz kurz Paluma wahr und hinter ihr das Inselmädchen, das seiner Frau einen Sohn prophezeit hatte.
Balám rückte dicht an die beiden aus Chacmultún heran, um ihnen den Ball abzujagen, als plötzlich, vor Tausenden gebannter Augenpaare, Chac seitlich vor Balám sprang, den Ball mit dem Ellbogen abfing, ihn hoch in die Luft und durch den Reifen beförderte und gleich darauf mit einem Satz, von dem man zweifelsohne noch jahrelang sprechen würde, abermals hochsprang, sich wie ein Wirbelwind drehte, den Ball ein
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