Das Perlenmaedchen
Kopf.
»Sie … « Balám fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, sah sich im Zimmer um. Dann nahm er seinen ganzen Mut zusammen und stieß mit erstickter Stimme aus: »Sie wollen mich zwingen, dafür zu sorgen, dass wir morgen unser Spiel verlieren.«
Stille breitete sich aus. Durch das offene Fenster hörte man, wie sich ein paar Häuser weiter ein Mann und eine Frau stritten, von einem Dach war der Lockruf einer Eule zu vernehmen, auf der Straße die schleppenden Schritte eines Betrunkenen. Einauge, der noch immer lauschte, dröhnte sein eigener Herzschlag in den Ohren.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Chac schließlich, obwohl er es sehr wohl verstand.
»Wenn ich dafür sorge, dass wir morgen verlieren, erlassen sie mir meine Schulden.«
»Sie haben gewettet, dass wir verlieren ?«
»Genauso ist es. Sie haben hohe Einsätze auf einen Sieg der Mannschaft aus Chacmultún platziert.«
»Warum setzen sie nicht einfach auf Sieg für uns ?«
»Einen Sieg kann man niemals mit Sicherheit voraussagen, Bruder, eine Niederlage schon.«
Chac wehrte entsetzt ab. »Balám, das kannst du nicht von mir verlangen. Über Sieg oder Niederlage entscheiden die Götter. Das ist im Göttlichen Plan bereits festgelegt.«
»Du weißt ebenso gut wie ich, dass wir das ändern können. Nichts steht so fest, dass man es nicht verändern kann.«
»Aber ein Spielergebnis zu verändern wäre ein Frevel!«
»Meinst du, das wüsste ich nicht? Aber wenn ich es nicht tue, wird diese Vereinigung von mir die Einlösung meiner Schuldscheine verlangen. Und da ich sie nicht einlösen kann, werden sie meine Frau und meine Tochter als Sklavinnen verkaufen. Ich werde meine Ländereien, mein Hab und Gut verlieren, werde aus der Mannschaft ausgeschlossen und nie wieder spielen dürfen. Meine Freunde werden sich von mir abwenden. Meine Familie in Uxmal – meine Eltern, mein Onkel, der König –, alle werden sie mich verachten und von mir erwarten, dass ich noch genug Anstand habe, um mich zu erhängen. Bruder, ich will nicht, dass es dazu kommt!«
Chacs Kehle war wie ausgetrocknet. »Balám, wir haben mit unserem Blut besiegelt, unser Leben nach einem Ehrenkodex auszurichten. Wir haben der Göttin des Mondes geschworen, niemals zu lügen, zu stehlen oder zu betrügen. Ohne Ehre sind wir nichts.«
»Wenn wir das Spiel nicht verlieren, werde ich ein Nichts sein!«
Chac ging auf und ab, strich sich über den Nacken, blieb stehen, wandte sich um. »Ich kann meine Obstgärten verkaufen. Und seit Kurzem besitze ich eine Villa unweit der Küste.«
Aber Balám schüttelte den Kopf. »Selbst wenn Seine Großherzige Güte und mein Onkel, der König von Uxmal, ihre Besitztümer zusammenlegten, würde es nicht reichen. Der einzige Ausweg, der mir bleibt … «, Balám streckte beide Hände aus, » … ist, das Spiel zu verlieren.«
Als er Chacs entgeisterten Blick sah, fügte er rasch hinzu: »Die Götter werden dir ins Herz schauen und verstehen, dass du deinem Bruder helfen möchtest. Sie werden das, was du tust, als Opfer bewerten. Sie werden dich nicht bestrafen, sondern vielmehr segnen.« Der Prinz schluchzte auf. »Vergib mir, dass ich dich in diese Katastrophe mit hineinziehe. Aber du bist mein Bruder! Ich brauche dringend deine Hilfe. Habe ich dir nicht auch schon mal in einer schwierigen Situation beigestanden, ohne dass du mich eigens darum gebeten hättest?«
Bei der Erinnerung daran stiegen Chac die Tränen in die Augen. Damals hatte er mit seiner Mutter in der Palastküche gelebt und als Chichimeke in einer Maya-Stadt keine Freunde gehabt. Eine Horde Jugendlicher hatte ihn in einer Seitenstraße bedrängt. Ein junger Prinz hatte ihn gerettet, sich mit ihm angefreundet und schließlich dafür gesorgt, dass der junge Chac in die berühmte Ballspielakademie aufgenommen wurde.
»Wenn du morgen an einem Strang mit mir ziehst, Bruder«, flehte Balám, »werden all meine Schulden getilgt und ich kann ein neuer Mensch sein. Ich werde nie wieder dem Glücksspiel frönen. Das schwöre ich beim Leben meiner Tochter.«
»Das hast du schon so oft versprochen«, kam es gepresst von Chac.
»Weil ich noch nie kurz davorstand, meine Familie zu verlieren! Dies hier war der Schock, den ich brauchte, Bruder. Ziyal zuliebe muss ich mich ändern. Ich werde dem Glücksspiel ein für alle Mal entsagen.«
Balám holte aus dem Beutel um seinen Hals Ziyals ersten Zahn heraus und zeigte ihn Chac. »Auf diesen Talisman schwöre ich. Ich hielt die Kleine in den
Weitere Kostenlose Bücher