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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Hensel
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Jeanstasche. Sein Auftrag, darauf kam alles an. Viele Menschen, die er noch zu töten hatte. Es war nicht bloß ein Auftrag. Es war die Rechnung seines Lebens! Vielleicht, dachte er, wenn er genug getötet hatte, wenn die Rechnung endlich beglichen war, würde er sich eine Gitarre kaufen.

28
    Die Kamera hing an der Decke, vermutlich über der Tür – auf dem Bildausschnitt waren keine Türen zu sehen. Auch keine Fenster, bloß rotbraun gestrichene, teils angerostete Metallwände. Die Menschen saßen oder lagen auf dem Boden. Maria zählte elf, wahrscheinlich gab es weitere außerhalb des Bildausschnittes. Eine Frau schlief neben zwei kleinen Kindern.
    »Woher, glaubst du, kommen die Leute?«
    »Dunkle Haut, eher groß«, sagte Eléni. »Sahelzone. Tschad, Niger, Sudan …«
    Sie wirkten müde, ausgezehrt, die Haut war trocken. Zwei Männer stritten sich, ohne Kraft. Ein Mädchen lag zitternd im Schoß seiner Mutter, die ihr durchs schweißnasse Haar strich.
    Jetzt gab es Bewegung. Ein Uniformierter trat ins Bild, man sah seinen massigen Körper und den rasierten Hinterkopf nur von hinten. Die Menschen sahen ihn an, voller Erwartung. Das Video hatte keinen Ton. Aber offenbar verkündete er gute Nachrichten, die Menschen lächelten, weckten die Schlafenden auf. Eine alte Frau wollte dem Mann die Hände küssen, aber der zog sie schnell weg.
    »Vielleicht hat er Papiere versprochen«, sagte Eléni. »Für Europa.«
    Der Mann hatte ein Spielzeug mitgebracht: Ein Dromedar aus Holz, geschmückt mit Perlen und einer bestickten Satteldecke. Warum er es in den Raum brachte, war nicht klar. Noch weniger, warum er es einem kleinen Jungen in die Hand drückte. Das Dromedar war ungefähr einen halben Meter hoch und ebenso breit. Der Uniformierte strich ihm mit seiner fetten Hand über den Kopf, die Mutter flüsterte ihrem Kind etwas ins Ohr; ihr Junge sollte dem Mann danke sagen.
    Der Uniformierte verließ den Raum. Die Menschen redeten, lachten sogar. Ein Alter breitete ein Tuch auf dem Boden aus und betete. Der Junge spielte mit seinem neuen Schatz. Seine Finger drückten zwischen den Ohren, am Schwanz … Das Dromedar klappte auf, eine Stichflamme schoss heraus. Das Kind verkrümmte sich, dann die Mutter. Innerhalb von Sekunden war der Raum ein Inferno würgender, sich übergebender Leiber. Sie schrien, warfen sich gegen die Wände. Es dauerte höchstens zwei Minuten, dann waren alle Menschen tot. Erstickt, am Gas und ihrem Erbrochenen.
    Sie saßen in Elénis kleiner, aufgeräumter Wohnung. Durch das geöffnete Fenster hörten sie Musik und Gelächter aus einem Straßencafé. Auf dem Bildschirm bewegte sich nichts mehr.
    »Wo hast du das Video her?«, flüsterte Maria.
    »Ist doch egal.« Elénis Stimme bebte.
    Maria griff nach der Fernbedienung. Ließ den Film zurücklaufen, bis zur Stichflamme.
    »Warum willst du das noch mal sehen?«, fragte Eléni.
    »Ich will wissen, ob das Video echt ist.«
    »Natürlich ist es echt.«
    Maria ließ den Film langsam vorlaufen. »Die Flamme … Der Junge atmet das Gas ein, neben ihm die Mutter … Aber hier!« Maria stoppte das Video. »Der würgende Mann! Am anderen Ende des Raumes!«
    »Ja, und?«
    »Wie breitet sich das Gas so schnell aus?«
    »Vielleicht ein Ventilator.«
    Auf Eléni, das war Maria klar, wirkte sie vollkommen gefühllos. Aber sie kannte sich: Das Entsetzen würde später kommen, in einigen Minuten, hoffentlich erst in ein paar Stunden. So lange musste sie hinsehen, versuchen zu begreifen.
    »Die ganze Zeit hat sich nichts bewegt«, sagte sie. »Keine Haarsträhne, kein Stück Stoff …« Sie stoppte den Film. »Hier! Der Mann auf dem Teppich verkrümmt sich! Im selben Moment bricht die Frau an der Wand zusammen!«
    Eine Mutter warf sich über ihr Kind, es erbrach sich durch ihre Hände.
    »Wie kann das Gas alle diese Menschen zur selben Zeit töten?«
    »Ich habe keine Ahnung von Chemie.«
    »Ich auch nicht. Aber wir wissen, was passiert, wenn im Bad eine Parfumflasche auf die Fliesen fällt und zerbricht.«
    »Die ganze Wohnung stinkt.«
    »Aber nicht sofort!«
    »Ich will das nicht weiter sehen …«
    Draußen im Café erzählte jemand einen Witz. Alle lachten.
    »Das Gas reagiert nicht an der Luft«, sagte Maria. »Es reagiert mit der Luft.«
    »Kann sein.«
    »Im Dromedar sind zwei Gase, wahrscheinlich flüssig. Deshalb am Anfang die Stichflamme, wenn sie reagieren. Dann gibt es eine Kettenreaktion. Woraus besteht normale Atemluft? Sauerstoff und Stickstoff. Und

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