Das Pestkind: Roman (German Edition)
müssen wir es nicht mehr heimlich am Bach tun, dann liegst du in meinem Bett, und ich werde dich niemals wieder hergeben«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Wenig später lag sie wieder auf ihrem Lager. Sie fühlte noch immer seine Nähe, und sein Geruch war allgegenwärtig. Sie kuschelte sich unter ihre Decke und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.
*
Am nächsten Morgen herrschte überall im Tross heilloses Durcheinander. An allen Ecken wurde gepackt, Frauen und Männer rannten durcheinander, Kinder kreischten. Kleidertruhen wurden von Knechten auf große Karren geladen, die hinter den Kutschen der Damen herfuhren. Marianne zog ihr Schultertuch enger. Der Morgen war frisch, keine Sonne war zu sehen, dicker Nebel hing über dem Lager, und die Wiesen waren feucht vom Tau. Auf leisen Füßen schlich der Herbst immer näher. Eugenie trat fröstelnd neben Marianne.
»Was heute ist mit dir?«, fragte sie neugierig. Ihr war das Lächeln ihrer Freundin nicht entgangen. So fröhlich hatte sie Marianne, die heute Morgen vergnügt summend durch das Zelt gehuscht war, noch nie erlebt.
Marianne wandte den Kopf. »Was soll sein?« Sie versuchte, eine gleichgültige Miene aufzusetzen.
»Ich sehen an die Nasenspitze, etwas nicht ist in Ordnung.« Die Französin musterte Marianne kritisch.
»Habe ich verpasst etwas?«
»Nein, du hast nichts verpasst. Es ist alles wie immer«, erwiderte Marianne.
Eugenie sah sie skeptisch an.
»Das kannst du erzählen deine Großmutter.«
»Na gut«, gab Marianne nach, während sie sich ihren Weg zwischen Truhen, Bündeln und Zeltplanen zu Anna Margarethe Wrangels Kutsche bahnten. »Ich werde es dir erzählen, aber du musst es für dich behalten.«
Eugenie sah sie neugierig an.
»Albert hat gestern gesagt, dass wir nur noch wenige Tage reisen werden. Sein Bruder will eine längere Pause machen, da Anna kurz vor der Niederkunft steht.«
Eugenie winkte ab.
»Das ist doch nicht Neuigkeit.«
Marianne berichtete weiter:
»Albert plant in dieser Zeit unsere Hochzeit.«
Eugenie blieb stehen.
»Wirklich, aber das ist ja …« Sie suchte nach Worten. »Fantastique!« Sie klatschte in die Hände. »Es wird geben große Fest.« Mit strahlenden Augen sah sie Marianne an. »Ich lieben Feste, Musik und Tanz.« Ihr Blick wurde sehnsüchtig. »Früher, zu Hause, in die Normandie. Wir hatten oft Feste. Mit Tanz und viele Gäste.«
Anna Margarethe trat aus ihrem Zelt. Inzwischen konnten selbst die weiten Kleider ihren Zustand nicht mehr verbergen. Schwerfällig kletterte sie mit der Hilfe eines Dieners in die Kutsche und sank in die Polster.
Marianne und Eugenie folgten ihr.
Anna Margarethe breitete stöhnend ihre Röcke aus.
»Es ist unerträglich«, begann sie zu jammern. »Alles tut mir weh. Carl hat mir versprochen, dass es heute der letzte Tag sein wird. Ich halte es nicht mehr aus. Jeden Stein kann ich spüren.«
Eugenie sah Anna Margarethe mitleidig an.
»Die Pause wird tun Euch gut.«
Ruckelnd setzte sich das Gefährt in Bewegung. Anna Margarethe nickte seufzend. Ihr Blick wanderte zu Marianne.
Trotz ihres Zustandes entging ihr deren Veränderung nicht. Mariannes Augen leuchteten, und ein leichtes Lächeln umspielte ihren Mund.
»Carl hat mir gestern Abend von Alberts Plänen berichtet.« Sie nickte Marianne aufmunternd zu. »Ich kann deine Vorfreude verstehen, mein Kind.«
Marianne blickte beschämt zu Boden.
Immer noch war ihr ganz warm ums Herz, und auch das sonderbare Kribbeln war noch nicht verschwunden. Sie vermisste Albert mit jeder Faser ihres Körpers.
»Und meine zukünftige Gatte ist tot.« Eugenie zuckte seufzend mit den Schultern. Anna Wrangel warf ihr einen strafenden Blick zu. Eugenie war nie mit der Wahl ihrer Eltern zufrieden gewesen. Heinrich, ein Graf de Barby, hatte die fünfzig bereits überschritten, als Eugenies Eltern die Ehe arrangierten. Sie wäre seine vierte Frau gewesen. Heinrich war vom Unglück verfolgt: Seine erste Gattin war im Kindbett gestorben, die zweite erlag der Pest, und die dritte war bei einer Fehlgeburt verblutet. Er hatte keine Nachkommen, und sein einziger Bruder war irgendwo in Brandenburg verschollen. Die Verbindung mit Eugenie hatte ihm neuen Lebensmut gegeben, auch wenn die Französin nicht sonderlich begeistert gewesen war und sich gegenüber ihrem Gatten stets sehr kühl verhalten hatte. Vor einigen Tagen war er bei dem Versuch, den Inn zu überqueren, ertrunken.
»Wir alle sind sehr bestürzt über Heinrichs Tod. Er war
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