Das Pestkind: Roman (German Edition)
Abendmahl war im kleinen Kreis eingenommen worden, denn Anna Margarethe hatte sich nicht wohl gefühlt. Das übliche allabendliche Unterhaltungsprogramm war gestrichen worden, was Albert sofort dazu genutzt hatte, mit Marianne zu verschwinden.
Claude hatte sich breitschlagen lassen, ihnen das Domizil zu überlassen, und versprochen, Stillschweigen zu wahren. Er war Franzose, und von der Sitte, bis nach der Ehe zu warten, hielt er nicht viel. Er vertrat die Einstellung, dass man in jeder Hinsicht wissen sollte, wen man heiratete, denn immerhin war es ein Versprechen fürs Leben. Was in diesen Zeiten nicht viel heißen musste, aber genau wissen konnte man es nie.
Es war schön gewesen, sich zwischen Laken und Decken zu lieben. Hier war es warm und weich, nicht hart und kühl wie neulich draußen am Bach. Es hatte auch nicht mehr weh getan und sich gut angefühlt. Irgendwann war sie wie berauscht gewesen, und dieses besondere Gefühl, das sie beim letzten Mal weniger intensiv gespürt hatte, war nun stärker und irgendwann so wunderbar und einzigartig geworden, dass sie sich stöhnend aufgebäumt hatte. Diese Wärme war noch immer da, füllte ihren Bauch aus und zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. Schläfrig schloss Marianne die Augen. Es war so schön, wieder jemanden neben sich zu haben. Endlich griff ihre Hand nicht mehr ins Leere. Ihre Gedanken wanderten zu Anderl. Vielleicht würde er ja auch bald jemanden finden. Eine Frau an seiner Seite, mit der er Kinder bekommen könnte. Obwohl sie sich fragte, ob er überhaupt in der Lage dazu war, auf diese Art und Weise zu lieben. Sie seufzte. Immer wenn sie an Anderl dachte, wurde sie traurig. Wie gern hätte sie ihn jetzt bei sich. Ihm würde es im Tross bestimmt gefallen. Aber wo wäre hier sein Platz? Er konnte nicht kämpfen, verstand nichts von Waffen, war langsam und verträumt. Sie würden ihn verspotten oder schlagen. Die Männer hier waren nicht zimperlich, und wer sich nicht durchbeißen konnte, würde als Wasserträger oder Bettler enden, den keiner haben wollte.
Doch würde es Anderl tatsächlich so ergehen? Immerhin würden Albert und sie auf ihn aufpassen. Sie seufzte. Niemals würde Anderl dieses Lager betreten. Er war jetzt weit weg und lebte in einer anderen Welt, die nicht mehr ihr Zuhause war.
Albert bewegte sich, drehte sich auf die Seite, legte seinen Arm um sie und zog sie noch enger an sich. Marianne schob ihre Gedanken fort. Sie wollte kein Heimweh haben und nicht an Rosenheim und die Berge denken, denn ihre Heimat war jetzt hier.
Am nächsten Morgen riss lautes Geschrei Marianne aus dem Schlaf. Die Plane vor dem Eingang wurde aufgerissen, und Claude betrat das Zelt. Beschämt zog Marianne die Decke hoch.
Albert sah seinen Freund wütend an.
»Was soll das? Ich hatte dich doch gebeten …«
»Nicht jetzt«, unterbrach der Franzose ihn.
»Die Pest ist im Lager. Dein Bruder will sofort mit uns allen sprechen.«
Albert sah ihn verwirrt an.
»Aber davon war doch bisher auch nicht die Rede. Nicht einen einzigen Fall hatten wir in den letzten Monaten.«
Er stand hastig auf und zog seine Hosen an.
»Gestern muss eine Hure daran gestorben sein. Die Frauen wussten anscheinend nicht, welche Krankheit sie hatte. Erst Milli, die sie zu Hilfe geholt hatten, hat es erkannt und es gestern Abend sofort dem Trosswaibl gemeldet. Er ist bereits bei deinem Bruder.«
Albert wandte sich an Marianne, die kreidebleich geworden war.
Besorgnis trat in seine Augen.
»Geht es dir gut?«, fragte er und verfluchte sich dafür, Claude nicht erst draußen gefragt zu haben, was geschehen war. Diese Neuigkeiten waren nichts für Marianne, die schon ihr ganzes Leben lang von der Pest verfolgt wurde.
»Es ist schon gut«, beruhigte Marianne ihn. »Geh du ruhig. Ich komme zurecht.«
Auch Claude musterte das Mädchen besorgt. Er wollte niemandem Angst machen.
»Das wird schon werden, Mademoiselle.« Er versuchte, ein charmantes Lächeln aufzusetzen, was ihm allerdings misslang. »Sicher wird es nicht so schlimm kommen. Es ist nicht das erste Mal, dass es solche Probleme gibt. Nicht wahr, Albert?«
Albert nickte und drückte Marianne einen Kuss auf die Stirn.
»Claude hat recht. Du wirst schon sehen, bald wird im Lager niemand mehr davon sprechen. Bisher war es ja auch nur der eine Fall, und wir wissen damit umzugehen. In ein paar Tagen wird es kein Thema mehr sein.«
Am selben Abend saß Marianne bei Anna Margarethe im Zelt und wiegte den kleinen
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