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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Carl Philipp liebevoll im Arm. Er war eingeschlafen. Wie viel Vertrauen so ein kleines Wesen hatte, dachte Marianne. Sie können nicht anders als darauf hoffen, dass derjenige, der sich ihrer annimmt, nichts Böses im Sinn hatte. Sie strich ihm sanft über die Wange. Er war ein hübsches Kind. Sein schwarzer Schopf war am Hinterkopf ein wenig dünner geworden, seine Wangen voller. Anscheinend vertrug er die Milch seiner Amme hervorragend. Immer deutlicher war die Ähnlichkeit zu seinem Vater zu erkennen.
    Anna Wrangel betrat das Zelt und kam auf die beiden zu. Sie trug ein dunkelblaues Samtkleid, in das an den Ärmeln mit rotem Garn Sterne eingearbeitet waren. Ihre Miene war ernst, und eine tiefe Falte lag zwischen ihren Augen.
    Marianne sah sie fragend an.
    »Und, was sagen die Männer?«
    Anna Wrangel sah auf ihren kleinen Jungen hinab und lächelte.
    »Er sieht so unschuldig aus. Alle sahen sie so aus.« Sie strich vorsichtig über seine winzigen Finger. »Die kleinen Hände und Füße, sie sind so vollkommen und wissen noch nicht, was für schreckliche Gefahren das Leben in sich birgt.«
    »Was haben die Männer gesagt?«, fragte Marianne erneut. Sie ahnte, dass es keine guten Neuigkeiten gab.
    »Es gibt zwei weitere Tote«, antwortete Anna.
    »Wo?«
    »Wieder im Hurenlager, aber auch bei der Infanterie liegen zwei Männer darnieder. Carl wird langsam nervös. Gestern ist eine Gruppe aus einem der Dörfer zurückgekommen. Auch dort hat der Schwarze Tod gewütet.«
    Marianne fielen die beiden Toten in dem Bauernhaus wieder ein. Sie und Milli hatten natürlich abgesprochen, Stillschweigen darüber zu bewahren. Gott bewahre, wenn irgendjemand im Lager erfahren würde, dass sie auf einem Pesthof gewesen waren. Dann würden sie ihres Lebens nicht mehr froh werden. Marianne lebte seitdem ständig mit der Angst, krank zu werden. Aber bisher war noch nichts passiert. Keine Kopfschmerzen, kein Fieber oder sonstige Dinge, die irgendwie anders waren. Milli hatte sie seitdem nicht mehr gesehen.
    Die Wachen waren verstärkt worden, und Albert hatte sie gebeten, nicht ins Lager zu gehen, doch sie vermisste die Marketenderin und die normale Welt, wie sie den bunten Teil des Trosses nannte. Hoffentlich würde dieser Alptraum, der sie alle lähmte und ihnen die Luft zum Atmen raubte, bald ein Ende haben.
    Anna Wrangel nahm ihr den Kleinen ab, und Marianne griff zu einer Stickarbeit, die neben ihr lag. Vor einigen Tagen hatte sie damit begonnen, doch sie stach sich ständig in die Finger und hatte Schwierigkeiten, die richtigen Stiche zu machen. Aber immerhin war die Stickerei ein kleiner Zeitvertreib, der das Warten auf Neuigkeiten von dem Schwarzen Tod erträglicher machte.
     
    Zwei Tage später hielt es Marianne nicht mehr aus. Sie musste unbedingt zu Milli, ob es Anna Margarethe nun passte oder nicht. Der Morgen war gerade angebrochen, als sie aus dem Zelt spähte. Die Wachen patrouillierten wie immer am Eingang zum Feldherrenhof, doch ansonsten war es still. Einige wenige Mägde waren bereits auf den Beinen und schürten das Feuer oder hängten zwischen den Zelten Wäsche zum Trocknen auf.
    Marianne schlüpfte rasch in ihre Kleider, hüllte sich in ein wollenes Schultertuch und verschwand ungesehen hinter ihrem Zelt.
    Als sie kurze Zeit später durchs Lager ging, atmete sie auf.
    Es war ein kühler Morgen. Der Herbst hatte endgültig Einzug gehalten, und die ersten Blätter an den Bäumen begannen, sich zu verfärben. Grauer Nebel hing über dem Lager mit seinen Karren, den Zelten, heruntergebrannten Lagerfeuern, Holzbänken und Wäscheleinen. Einige Kinder liefen kichernd an Marianne vorbei, doch auch hier hatte sich etwas verändert. Alles schien ruhiger zu sein, und es herrschte nicht die fröhliche Stimmung, die Marianne so liebte.
    Sie erreichte Millis Lagerplatz. Das Feuer war bereits angefacht, und die Marketenderin hängte gerade einen vom Ruß geschwärzten Kupferkessel darüber.
    Marianne trat näher.
    »Guten Morgen, Milli«, begrüßte sie die Freundin strahlend. Milli blickte auf. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
    »Guten Morgen, Marianne. Das ist aber schön, dass du mich besuchen kommst.« Sie hob ermahnend den Zeigefinger.
    »Hast dich wieder fortgeschlichen, nicht wahr?«
    »Ich konnte nicht anders. Es ist wie in einem Gefängnis.« Marianne setzte eine unschuldige Miene auf und zeigte ihre zerstochenen Finger. »Und für die Stickarbeit bin ich nicht geschaffen.«
    »Na, dann setz dich mal ans Feuer,

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