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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Absperrungen.«
    Milli legte ein ordentliches Tempo vor, und Marianne hatte Mühe, mitzuhalten. Irgendwann erreichten sie das Ende des Trosses. Verwundert bemerkte Marianne, dass die Marketenderin noch immer nicht stehen blieb.
    »Wo willst du eigentlich hin?«, fragte sie, als sie nach einer Biegung einen breiten Feldweg erreichten.
    »Die Männer haben gestern eines der Dörfer hier in der Gegend heimgesucht. Ich wollte sehen, ob es noch was zu holen gibt. Ich benötige Nachschub, denn mein Karren ist fast leer.«
    Marianne sah Milli verwundert an.
    »Aber die Menschen haben doch alles verloren. Sie sind tot und geschändet. Warum denkst du, dass es dort noch etwas zu holen gibt?«
    Milli blieb stehen. »Mir werden die Sachen nicht gebracht, die ich verkaufe.« Sie deutete auf ihre Körbe. »Ich muss sie mir zusammensuchen. Alle Marketender tun das. Es sichert unser Überleben. Oft übersehen die Soldaten etwas in den Gebäuden, sogar Goldmünzen habe ich schon gefunden. Davon kann ich dann Wein und Bier kaufen.«
    Marianne schaute auf die Körbe. Das hatte sie nicht gewusst. Natürlich hatte sie sich manchmal gefragt, woher Milli die Sachen bekam, aber dass sie die Häuser der Geschändeten durchsuchte, erschreckte sie.
    Sie war erleichtert, dass Milli wieder normal mit ihr redete, und fand es plötzlich aufregend, etwas anderes zu sehen als das tägliche Einerlei im Lager.
    »Ich komme mit dir«, sagte sie und griff nach einem der Körbe. »Ich kann dir helfen.«
    Milli warf Marianne einen abschätzenden Blick zu. »Es ist aber keine leichte Arbeit.«
    Marianne zuckte mit den Schultern. »Was ist in diesen Zeiten schon leicht.«
    Die Marketenderin lächelte. »Das stimmt.« Die beiden gingen weiter. »Und eine Frau, die sich allein im Wald so mutig verhält, lässt sich bestimmt nicht so schnell erschrecken.« Milli legte liebevoll den Arm um Marianne und drückte sie fest an sich.
    »Du musst mir genau erzählen, was im Wald passiert ist. Im Lager wird überall davon gesprochen, und sie feiern dich als Heldin.«
    Marianne verdrehte die Augen. »Als Heldin würde ich mich nicht bezeichnen. Vor lauter Angst habe ich mir fast ins Hemd gemacht.«
    Die Marketenderin grinste. »Das hätte ich mir gewiss auch.«
     
    Nach einer Weile erreichten sie ein Dorf. Jedenfalls das, was davon übrig war. Die Stille war grausam. Marianne blickte sich fröstelnd um. Die Höfe und Häuser waren teilweise niedergebrannt, die Fenster eingeschlagen. Rosenblätter lagen vor einem Haus auf dem Boden. Irgendjemand hatte auf einen blühenden Busch vor dem Gebäude eingeschlagen. Die Tür hing lose in den Angeln, im Eingang lag eine Frau, den Kopf halb abgetrennt. Die Pfützen auf den Straßen waren rot gefärbt und schimmerten unwirklich im Sonnenlicht. Es stank erbärmlich. Ein Hund humpelte winselnd an ihnen vorbei, ihm fehlte ein Bein, und eine große Wunde klaffte an seinem Hinterteil. Mitfühlend schaute Marianne dem Tier nach. Milli sah sich ebenfalls um. Doch Mitleid lag nicht in ihren Augen. Sie musterte die einzelnen Häuser und dachte darüber nach, wo es noch etwas zu holen geben könnte. Irgendwann entschied sie sich für einen relativ großen Bauernhof, der am Ende der Straße lag. Marianne folgte ihr.
    Immer wieder zeigten Leichen die Grausamkeit, mit der hier vorgegangen worden war. Zwei Buben, kaum älter als zwölf Jahre, baumelten an einer großen Linde. Darunter lag anscheinend ihre Mutter vollkommen nackt in einer großen Blutlache, und zwei große Löcher prangten an der Stelle, wo noch gestern ihre Brüste gewesen waren.
    Marianne wandte den Blick ab. Übelkeit stieg in ihr auf, sie übergab sich am Straßenrand. Milli beobachtete sie teilnahmslos und meinte ungeduldig:
    »Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht einfach ist.«
    »Es geht gleich wieder«, antwortete Marianne, wischte sich den Mund ab und atmete tief durch.
    Die Marketenderin blickte kopfschüttelnd auf die geschändete Frau. »Armes Ding. Wahrscheinlich sind das dort oben ihre Kinder. Vielleicht wollten sie ihr zu Hilfe eilen. Hätten sie mal lieber bleibenlassen sollen.«
    Marianne hob den Kopf. Tränen standen in ihren Augen, und ihr Hals brannte. Milli trat neben sie, reichte ihr einen Wasserschlauch und klopfte ihr auf den Rücken.
    »Das wird schon wieder. Am Anfang mussten alle spucken, doch irgendwann gewöhnt man sich an den Anblick.«
    »Daran möchte ich mich nicht gewöhnen«, erwiderte Marianne und reichte Milli den Schlauch zurück,

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