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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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nachdem sie getrunken hatte.
    Die beiden gingen weiter und betraten wenig später den Innenhof des großen Bauernhofes. Die Stallungen und Scheunen waren komplett niedergebrannt. Schwarze Überreste von Holzbalken lagen zwischen verkohlten Steinen. Das Haupthaus stand noch, doch die Scheiben waren eingeschlagen, die Tür fehlte, und an einer Stelle klaffte ein großes Loch in der Mauer. Ein geschlachteter Esel, dem sämtliche Innereien fehlten, starrte Marianne aus traurigen Augen an. Angewidert wandte sie den Kopf ab und unterdrückte eine weitere Übelkeitsattacke. Hastig folgte sie Milli, die bereits im Haus verschwunden war.
    Im Flur schlug ihr abgestandene, nach Urin und Kot stinkende Luft entgegen. Sie betraten die Wohnstube. Auch hier hatten die Männer gewütet. Stühle und Tische waren zerschlagen und die Schränke durchwühlt worden. Aber Tote gab es nicht. Marianne atmete auf. Milli begutachtete die Schränke und blickte unter die Eckbank, doch alles war leer. Sie verschwand durch eine Seitentür. Marianne folgte ihr und fand sich in der weitläufigen Wohnküche des Hofes wieder. Alles war zerstört, doch Tote gab es auch hier nicht. Milli hob triumphierend zwei Zinnbecher in die Höhe, die unter dem Spülstein gelegen hatten.
    »Siehst du. Irgendetwas vergessen sie immer. Für die beiden bekomme ich bestimmt einen guten Preis. Ich kann sie gegen Getreide oder Wein eintauschen. Der alte Peter ist ganz verrückt nach Zinngeschirr.«
    Sie legte die Becher in die Tasche und durchwühlte weiter die herumliegenden Trümmer. Ein Putzlappen, zwei kleinere Metalltöpfe und eine Suppenkelle wanderten ebenfalls in ihren Korb. Danach traten sie wieder auf den Flur und liefen die schmale Treppe nach oben.
    Marianne empfand es als Diebstahl, was sie hier taten, und sie begann sich zu fragen, wie viele Vaterunser man beten musste, bis man von dieser Sünde erlöst war.
    Im Obergeschoss empfing sie ein seltsam süßlicher Geruch. Marianne zog ein Stofftaschentuch aus ihrer Rocktasche und drückte es sich angewidert vor die Nase. Vorsichtig folgte sie Milli durch den dämmrigen Flur. Sie war auf alles gefasst, denn dieser Geruch verhieß nichts Gutes.
    Milli betrat eine der Kammern, Marianne blieb im Türrahmen stehen. Der Raum war ein Schlafzimmer. Vor ihnen stand ein hölzernes Doppelbett, dem ein großer, anscheinend vollkommen erhaltender Bauernschrank gegenüberstand.
    Im Bett lagen zwei Leichen. Grauenvolle Gewalttaten waren nicht an ihnen zu erkennen. Die Laken waren zerwühlt, und eingetrocknetes Blut, Eiterflecken und Erbrochenes waren darauf zu erkennen. Milli musterte die beiden misstrauisch. Ein Tuch vor Nase und Mund, trat sie näher heran.
    »Geh lieber wieder in den Flur hinaus, mein Kind«, sagte sie zu Marianne. »Hier stimmt etwas nicht.«
    Sie ging zum Bett und besah sich die Toten genauer, fasste die eine Frau an der Schulter und drehte sie um. Sofort floh sie zu Marianne in den Flur.
    »Wir müssen hier weg. Schnell!«
    Sie packte Marianne am Arm und zog sie zur Treppe.
    »Aber warum denn? Was ist mit den beiden?« Milli rannte die Treppe nach unten, und Marianne musste achtgeben, dass sie nicht über die Stufen stolperte. Auch sie bekam Angst. Woran die beiden dort oben auch immer gestorben waren, es musste etwas Schreckliches sein, wenn Milli so reagierte.
    Erst als sie ein ganzes Stück von dem Hof weg waren, blieb Milli schwer atmend stehen. Marianne hielt sich, nach Luft japsend, die Seite.
    »Aber jetzt musst du mir endlich sagen, was dort gewesen ist. Woran sind denn die beiden gestorben?«
    »Wenn ich mich nicht irre«, antwortete Milli, »dann war es die Pest.«
    *
    Albert hatte die Augen geschlossen. Marianne musterte ihn verstohlen von der Seite. Er sah so friedlich aus, wenn er schlief. Sie lag in seinem Arm und beobachtete seine Brust, wie sie sich hob und senkte. Kleine blonde Härchen ringelten sich darauf. Ihr Blick wanderte nach oben. Er hatte sich seit einigen Tagen nicht mehr rasiert. Blonde Bartstoppel, die sie vorhin rauh auf ihrer Haut gespürt hatte, zierten sein Kinn und seine Wangen. Er hatte eine relativ schmale, lange Nase, mit einem winzigen Höcker, und seine rechte Wange zierten zwei Muttermale. Sie lächelte. Früher hatte sie oft Anderl im Schlaf beobachtet und genau gesehen, wenn sich etwas an ihm verändert hatte. Sie liebte es, die Details eines Menschen zu erkennen und jede noch so kleine Besonderheit in einem Gesicht zu finden.
    Sie lagen in seinem Zelt. Das

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