Das Pestkind: Roman (German Edition)
erwiderte sie den Gruß.
»Ihr habt mich also erkannt. Lange ist es her, dass wir uns in Rosenheim gesehen haben.«
Der Mönch lächelte.
»Ihr wart damals noch ein Kind. Ich sehe, Ihr seid zu einer selbstbewussten jungen Frau herangereift. Pater Franz hat nicht untertrieben.«
»Pater Franz?«, fragte Marianne verblüfft.
Der Mönch nickte lächelnd.
»Ich war einige Tage sein Gast. Er hat mir alles erzählt. Große Sorgen hat er sich wegen Euch gemacht. Wie ich sehe, völlig umsonst.«
Marianne wurde nervös.
Maurus Friesenegger war zu Hause gewesen. Er konnte ihr berichten, wie es allen ergangen war – wie es um Anderl stand.
»Könnt Ihr mir erzählen, wie es ihm geht? Und habt Ihr vielleicht auch etwas von meinem Stiefbruder gehört?«
Maurus Friesenegger musterte Marianne aufmerksam. Sie schien aufgeregt zu sein, denn ihre Hände zitterten, und sie war blass geworden.
»Gern«, erwiderte er. »Aber ich möchte nicht unhöflich erscheinen, wenn ich um ein Glas Wasser oder Wein bitte. Ich habe, seitdem ich aufgegriffen wurde, nichts mehr zu mir genommen.«
»Aber natürlich, wie unaufmerksam von mir«, antwortete Marianne und bedeutete dem Mönch, ihr zu folgen.
»Das hier ist sowieso nicht der richtige Ort für ein ruhiges Gespräch.«
Kurze Zeit später saßen die beiden etwas abseits auf einer Bank. Marianne hatte dem Abt einen Krug Wein und etwas zu essen besorgt und sah ihm ungeduldig dabei zu, wie er sich ein Stück Brot abbrach und es mit einem großen Schluck Wein hinunterspülte.
»Ich habe länger mit Pater Franz gesprochen«, begann er zu erzählen.
Marianne sah ihn hoffnungsvoll an.
Doch was der Mönch ihr berichtete, brachte sie völlig aus der Fassung. Anderl war noch immer nicht frei und würde wahrscheinlich bald am Galgen baumeln. Verzweifelt schlug sie die Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf. Das durfte einfach nicht sein.
Warum unternahm Pater Franz nichts? Er hatte es ihr doch versprochen.
Sie versuchte, sich wieder zu beruhigen, und wischte sich die Tränen von den Wangen.
»Aber, der alte Theo hat doch alles gesehen. Er wollte die Wahrheit sagen.«
Maurus Friesenegger schüttelte den Kopf.
»Er ist nach Eurer Abreise tot in seiner Hütte aufgefunden worden.«
»Dann haben sie ihn also auch getötet. Wie hatte ich nur eine Sekunde annehmen können, dass wir ihnen zuvorkommen könnten.« Marianne ließ die Schultern hängen.
Der Mönch hob beschwichtigend die Hände. Wenn er gewusst hätte, wie sehr die Neuigkeiten das Mädchen aufregen würden, hätte er ihr nichts erzählt.
»Aber es gibt eine weitere Zeugin. Sie kann sich zwar noch immer nicht an die Vorfälle erinnern, doch vielleicht fällt es ihr wieder ein.«
Marianne sah ihn verwundert an.
Er lächelte aufmunternd.
»Margit heißt das Mädchen. Angeblich hat sie alles gesehen. Pater Franz hat sie aus einem Brunnen im Hof der Brauerei gezogen. Der Besitzer beteuert, dass es ein Unfall gewesen ist, aber Franz sieht das anders.«
Marianne nickte.
»Josef Miltstetter hat sie dort hineingeworfen, ganz sicher. Tote sind keine Zeugen.«
»Pater Franz tut alles, was in seiner Macht steht, um die Hinrichtung des Jungen zu verhindern, das musst du mir glauben.« Maurus Friesenegger griff nach Mariannes Hand.
Sie sah ihn traurig an. »Ich hätte Anderl niemals allein lassen dürfen. Ich habe es versprochen.«
*
Die Jagdgesellschaft war unterdessen in der Gegend um Kemnaten eingetroffen, die Carl Wrangel für die Jagd ausgewählt hatte. In der Nähe des kleinen Ortes lag ein weitläufiges und sehr wildreiches Waldstück, das den Namen Kapuzinerhölzl trug. Kemnaten selbst hatte nicht viel zu bieten. Einige Bauernhäuser und eine Kirche, an die ein großer Friedhof grenzte, umgaben die Überreste des ehemaligen Herrensitzes Neuhausen, der, halb verfallen, zugewuchert und von dicken Eichenbäumen gesäumt, den Mittelpunkt der Ansiedlung bildete. Hier schien zu Beginn des Krieges noch Wohlstand geherrscht zu haben, doch den Menschen war es nicht viel besser ergangen als anderswo. Verfallene Ställe, eingestürzte Mauern und von Unkraut überwucherte Felder erzählten von den Greueltaten, die an diesem Ort stattgefunden hatten.
Einige der Höfe schienen noch bewohnt zu sein. Ein paar wenige Hühner liefen gackernd vor so manchem Haus herum, und vor einem wiederaufgebauten Stall standen zwei Pferde und glotzten die Vorbeireitenden teilnahmslos an.
Am Ende des Dorfes lagen weitläufige Streuobstwiesen,
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