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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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öffnete der Himmel schon wieder seine Schleusen.
    Nervös klopfte er an die Tür des Büttels.
    Der Büttel öffnete diese schwungvoll.
    »Was denn noch?«, rief er. Anscheinend erwartete er jemand anderen. Überrascht sah er den Mönch an.
    »Was wollt Ihr denn hier?«, fragte er verblüfft und bedeutete dem Abt einzutreten.
    Stanzinger geleitete seinen Überraschungsgast in die Wohnstube, in der wohlige Wärme herrschte. Der Abt ließ seinen Blick durch den luxuriös eingerichteten Raum schweifen, in dem gepolsterte Sitzmöbel neben einem großen Kachelofen zum Verweilen einluden.
    »Möchtet Ihr Euch nicht setzen.«
    »Ich stehe lieber«, erwiderte Pater Franz und wusste nicht so recht, wie er beginnen sollte.
    Stanzinger setzte sich auf die Armlehne eines Stuhles, verschränkte die Arme und sah den Abt auffordernd an.
    »Also, was verschafft mir die Ehre Eures Besuches.«
    Pater Franz gab sich einen Ruck.
    »Ich war heute bei Anderl.«
    Der Büttel zeigte keine Reaktion, abwartend sah er sein Gegenüber an.
    »Der Junge hat mir von Euren Besuchen erzählt.«
    Der Büttel wurde blass.
    »Was hat er erzählt?«
    Pater Franz trat näher an den Büttel heran.
    »Davon, was Ihr mit ihm macht, hat er erzählt. Ihr habt ihm sogar versprochen, dass Marianne wiederkommt, wenn er Euch gefügig ist.«
    Der Büttel wich zurück, seine Hände begannen zu zittern.
    Pater Franz’ Stimme wurde lauter.
    »Ist das der Grund, warum er seit Monaten in dieser Zelle sitzt? Weil Ihr ihn besitzen wollt? Ihr beschmutzt ihn, tut ihm weh und nutzt ihn aus. Begeht eine Todsünde!«
    Er hatte die Hand gehoben und deutete auf den Büttel.
    »Und ein Mörder seid Ihr auch. Ihr habt Hedwig gemeinsam mit Josef Miltstetter an jenem Abend umgebracht. Wie lauten doch die Gebote unseres Herrn: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen. Ich sage Euch, auch wenn Ihr hier auf Erden nicht gerichtet werdet, so werdet Ihr für all Eure Sünden in der Hölle schmoren!«
    Er atmete tief durch. Der Büttel starrte den Mönch aus weit aufgerissenen Augen an. Doch dann erlangte er seine Fassung wieder und deutete in den Flur.
    »Verlasst sofort mein Haus. Was bildet Ihr Euch ein, so über mich zu sprechen und mich zu verurteilen, für Dinge, die ich niemals getan habe. Was dieser Knabe auch immer spricht, es ist erlogen. Niemals habe ich mich an ihm vergriffen – weder an ihm noch an irgendeinem anderen Jungen.«
    Pater Franz verlor die Fassung.
    »Ihr werdet schon sehen. Ich werde alles dafür tun, diese Hinrichtung zu verhindern. Es gibt Zeugen, die Euch gesehen haben.«
    Der Büttel sah den Mönch herablassend an.
    »Welche denn? Etwa den alten verwirrten Theo? Der ist doch erschlagen worden, soweit ich gehört habe. Oder das treulose und sündige Weibsbild? Wie hieß sie gleich? Margit, nicht wahr? Mir ist zugetragen worden, sie habe ihr Gedächtnis verloren und kennt nicht einmal ihren Namen. Vor diesen Zeugen habe ich keine Angst, und jetzt verlasst mein Haus!«
    Pater Franz war geschlagen. Woher der Büttel von Margits Gedächtnisverlust wusste, war ihm unklar. Auch dass der alte Theo ein Zeuge war, hatte außerhalb des Klosters niemand gewusst.
    Er musste erkennen, welch mächtigen Gegner er vor sich hatte. So leicht würde sich August Stanzinger nicht einschüchtern lassen.
    Auf der Straße empfing ihn kühle Luft. Er hatte verloren, hatte sich nicht im Griff gehabt und Schwäche vor seinem ärgsten Feind gezeigt. Er zog seine Kapuze schützend über den Kopf und flüchtete vor dem Regen in den Schutz der Laubengänge.
    *
    August Stanzinger war hinter der Tür stehen geblieben. Nur ganz langsam beruhigte sich sein Puls. Er war so dumm gewesen. Wie hatte er nur glauben können, dass Anderl tatsächlich Stillschweigen bewahren würde. Der Junge war einfach zu naiv – und jetzt eine gefährliche Last. Was war, wenn er noch anderen Leuten davon erzählte oder sich Margit wieder an alles erinnerte und gegen ihn aussagen würde? Er würde seine einflussreiche Stellung und sein Ansehen verlieren – am Ende noch sein Leben. Immer mehr begann er Josef Miltstetter zu hassen. Dieser Mann hatte ihn mit seiner Habgier in diesen Strudel aus Lügen gezogen. Er musste etwas unternehmen. Lange hatte er den Prozessbeginn gegen den Burschen hinausgezögert, aus Egoismus und weil er sich nicht beherrschen konnte. Anderls glatte weiße Haut, seine ebenmäßigen Züge und die Art, wie er sprach, erregten ihn. Und obwohl er den

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