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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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nicht.«
    »Du denkst, sie kann im Lager des Feindes glücklich werden?« Der Abt sah seinen Freund durchdringend an.
    Pater Johannes zuckte mit den Schultern.
    »Ich weiß, die Schweden sind grausam, plündern und morden. Aber unsere Truppen sind auch nicht besser gewesen. Sie haben uns alles genommen, damit Wrangel nichts mehr findet. Vor einigen Jahren war es egal, welche Truppen kamen und welchen Rock sie trugen, wir hatten ständig Angst. Ich denke, die Zeit hat die Menschen so grausam und hart gemacht. Wir alle leben seit dreißig Jahren mit diesem Krieg, der hoffentlich bald ein Ende findet. Ich habe gesehen, wie der junge Mann Marianne angeschaut hat. Er liebt sie, dessen bin ich mir ganz sicher. Gewiss geht es ihr dort besser. Vielleicht hat dieser Albert sie inzwischen geheiratet. Für sie ist es gut, ein anderes Leben unter Menschen zu haben, die sie nicht als Pestkind sehen. Dort lernen die Leute Marianne kennen und nicht die Geächtete, auf die alle mit den Fingern zeigten.«
    »Du hast ja recht«, erwiderte Pater Franz. »Sie fehlt mir eben so schrecklich. Seit sie fort ist, bin ich nur noch ein halber Mensch. Oft gehe ich in den Rosengarten und wünsche mir, sie würde auf ihrer Bank sitzen und mich anlächeln.«
    Pater Johannes nickte. Sein Blick wurde wehmütig.
    »Ja, das war ihr Lieblingsplatz, stundenlang konnte sie dort verweilen und die Blumen bewundern.«
    Margit stammelte erneut irgendetwas und warf den Kopf hin und her. Beruhigend strich ihr Pater Franz über den Arm.
    »Ist schon gut, Mädchen. Es ist nur ein böser Traum.«
    Sie wurde wieder ruhiger.
    Schweigend hingen die beiden Männer ihren Gedanken nach.
    Als die Kerze heruntergebrannt war, erhob sich Pater Franz. »Es bricht mir das Herz, dass ich mein Versprechen nicht werde halten können.«
    Pater Johannes öffnete die Tür.
    »Noch ist der Junge am Leben. Und vielleicht findet sich doch noch ein Weg, seine Hinrichtung zu verhindern. Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben – und beten.«
    *
    Pater Franz beeilte sich, in den Schutz des Hauseingangs zu kommen. Ein starker Graupelschauer ging über der Stadt nieder und verwandelte die Wege, Straßen und Plätze in schmierige Pfade. Es war ungewöhnlich kalt für Ende Oktober, doch die Menschen waren trotz des schlechten Wetters guter Dinge. Das Gerücht vom Kriegsende hatte sich herumgesprochen. Die Schweden waren inzwischen irgendwo im Schwäbischen verschwunden, und fahrende Händler erzählten von einem Friedensvertrag, der im fernen Westfalen ausgehandelt wurde. Die Erleichterung war überall zu spüren. Die Leute grüßten freundlich und winkten ihm zu. Manch einer war sogar für ein kleines Schwätzchen länger stehen geblieben, bis die schwarze Wolkenwand mit stürmischem Wind über die Häuser gezogen war und alles in Dunkelheit versank.
    Schwer atmend klopfte er sich im Flur des Gefängnisses die Feuchtigkeit von seinem Mantel und betrat die muffige Stube des Wärters. Karl hatte in dem winzigen Ofen, der neben dem Fenster in der Ecke stand, Feuer gemacht und nagte an einem Hühnerbein.
    »Und, schon wieder Freitag?«
    »Wie immer«, erwiderte der Abt.
    Karl wischte sich seine Finger an einem schmutzigen Tuch ab und griff nach seinen Schlüsseln, die neben ihm auf dem Tisch lagen.
    »Ihr habt ein Talent dazu, die Leute beim Essen zu stören«, murmelte er mürrisch, schlurfte an Pater Franz vorbei und ging die Treppe nach oben.
    Anderls Kammer war natürlich nicht geheizt. Feuchte Kälte empfing den Mönch. Hinter ihm fiel krachend die Tür ins Schloss. Missmutig schaute er sich um. Anderl lag bäuchlings, eine wollene Decke über sich gebreitet, auf dem Bett. Wie immer saßen die Strohtierchen auf der Fensterbank und dem Tisch und blickten Pater Franz an. Ein Teller Suppe stand neben ihnen, anscheinend unberührt.
    Der Abt atmete tief durch, straffte die Schultern und setzte sich neben Anderl.
    »Grüß Gott, Anderl.« Er fuhr seinem Schützling über die Schulter. Anderl zuckte zurück. Pater Franz sah ihn verwundert an.
    »Aber was ist denn? Ich bin es, Pater Franz.«
    Anderl richtete sich auf, doch als er sich setzen wollte, verzog er sein Gesicht, legte sich wieder hin, krümmte sich seitlich zusammen und zog die Decke bis zum Kinn. Der Abt sah den Jungen besorgt an.
    »Was ist denn los? Hat Karl dich etwa geschlagen. Soll ich mit ihm sprechen?«
    Anderl reagierte nicht auf seine Worte. Pater Franz sah ihn schweigend an und versuchte, sich in Geduld zu üben.

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