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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Jungen inzwischen sogar liebgewonnen hatte, konnte er nicht anders, denn nun galt es zu retten, was zu retten war, und deshalb musste Anderl möglichst schnell der Prozess gemacht werden. Am besten würde es sein, wenn er gleich jetzt zu Richter Bichler gehen würde, um alles Weitere zu besprechen. Er griff nach seinem Umhang und verließ das Haus.
     
    Draußen empfing ihn kalte, nach Schnee riechende Herbstluft. Ungewöhnlich war dieser Kälteeinbruch für die Jahreszeit aber nicht, denn häufig wurde es im Oktober zum ersten Mal winterlich. Es hatte sogar Jahre gegeben, da lagen vor Allerheiligen schon zwanzig Zentimeter Schnee oder mehr. Er schlug seinen Kragen hoch, um sich gegen den Wind zu schützen. Es war still auf dem Äußeren Markt, die feuchte Kälte trieb die Leute in ihre Häuser. Nur der Nachtwächter drehte wie immer seine Runde.
    August Stanzinger eilte durch das Mittertor, das eigentlich gar kein richtiges Stadttor mehr darstellte, sondern nur noch als Verbindung zwischen den beiden Marktplätzen fungierte.
    Außer Atem blieb er vor dem Haus des Richters stehen und klopfte an die Tür.
    Der ehrenwerte Amtsrichter Rosenheims bewohnte mit seiner Frau ein ganzes Stockwerk in einem der größten und schönsten Stadthäuser des Inneren Marktes. Aufgemalte, verschlungene Muster zierten es unterhalb der Fenster, und seit dem großen Brand vor acht Jahren war es mit den modernsten Errungenschaften ausgestattet. In jedem Raum gab es einen Ofen, sogar in den Schlafräumen. Auch das Treppenhaus war nicht, wie sonst üblich, aus Holz und an der Rückseite des Hauses, sondern es führte mitten durch das Gebäude, war hell und freundlich, mit Bildern ausgestattet, und hatte sogar Fenster.
    Es dauerte eine Weile, bis das Klappern von Schlüsseln zu hören war und eine Magd vorsichtig nach draußen lugte.
    »Wer da?«, fragte sie mit leiser Stimme.
    »August Stanzinger. Ich weiß, es ist spät, aber ich müsste den ehrenwerten Herrn Richter in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.«
    Die Magd musterte ihn von oben bis unten und winkte ihn in den Flur.
    »Ich weiß nicht, ob er in der Lage ist, mit Euch zu reden. Er liegt krank darnieder, schon seit einer Weile. Aber ich werde Euch melden.«
    Sie schlurfte die Treppen nach oben und nahm die einzige Lichtquelle mit sich.
    Nervös blieb August Stanzinger in der Dunkelheit des Flurs zurück und rieb sich seine kalten Hände. Für einen so hochgestellten Mann hatte der Richter sehr unhöfliche Bedienstete. Immerhin hätte ihn die Magd in eine warme Stube mit Licht geleiten können. Doch er war jetzt nicht in der Situation, den Richter wegen seines Personals zu maßregeln. Schließlich wollte er etwas von ihm, also versuchte er, sich in Geduld zu üben.
    Oben wurde eine Tür geöffnet, und leise Stimmen waren zu hören, Licht erleuchtete die Treppe, und eine weibliche Person war zu sehen. Als die Frau näher trat, erkannte er die Herrin des Hauses. Irmgard Bichler hatte ihr langes, bereits ergrautes Haar zu zwei dicken Zöpfen geflochten und war in ein wollenes Tuch gewickelt. Ihre Züge wirkten hart, und in ihren Augen stand Müdigkeit.
    »Guten Abend, Büttel.« Sie reichte August Stanzinger die Hand. Ungeduldig griff er danach.
    »Grüß Gott, Bichlerin. Es tut mir leid, wenn ich zu so später Stunde noch störe, aber ich müsste dringend mit Eurem Gatten sprechen.«
    Die Frau atmete tief durch.
    »Leider wird das heute Abend nicht mehr möglich sein, denn es geht ihm nicht gut. Er hat hohes Fieber und schläft jetzt.«
    Erschrocken riss der Büttel die Augen auf. Das hörte sich nicht nach einer kleineren Unpässlichkeit an.
    »Oh, das tut mir leid.« Er versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. »Wie lange ist er denn bereits in diesem Zustand?«
    Irmgard seufzte.
    »Seit zwei Tagen geht es ihm so schlecht. Der Medikus sagte, es sei die Lunge. Es rasselt gar schrecklich in seiner Brust, und es plagt ihn ein heftiger Husten. Wenn das Fieber nicht bald besser wird, dann müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen.«
    Stanzinger sog scharf die Luft ein. Das konnte er jetzt wirklich nicht gebrauchen. Wenn der Richter sterben würde, dann konnte es Wochen dauern, bis ein Nachfolger sein Amt antrat.
    »Entschuldigt, dass ich Euch nichts anderes mitteilen kann«, fuhr die Gattin des Richters fort. »Meine Magd sagte mir, dass ihr ein wichtiges Anliegen hättet.«
    Der Büttel winkte ab.
    »Unter diesen Umständen kann das noch eine Weile warten. Ich komme schon zurecht.

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