Das Pestkind: Roman (German Edition)
Wind trieb weiße Wolkenfetzen über den Himmel. Die Felder und Wiesen waren morgens bereits von Rauhreif überzogen, und in die Zelte kroch eine unangenehme Feuchtigkeit.
Die Männer bauten gerade die hölzerne Unterkonstruktion auf, während Elise, die neuerdings mit ihr das Zelt teilte, einen Knecht anwies, ihre Kleidertruhen von einem der Karren zu wuchten.
Marianne beobachtete alles teilnahmslos. Grauer Nebel war aufgezogen. Sie aß seit Tagen nichts mehr und tat nachts kein Auge zu. Frierend warf sie sich hin und her, und wenn sie kurz eindöste, rissen schreckliche Träume sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Dann lag sie meist stundenlang wach und grübelte. Das Unglück hatte sie erneut eingeholt, klebte wie Pech an ihr und ließ sie nicht los. Anderl, Helene, Milli und jetzt auch noch Albert. Alle Menschen, die ihr im Leben etwas bedeuteten, ließen sie allein. Sie durfte anscheinend nicht glücklich werden. Ein Pestkind brachte das Unglück, und nichts würde daran etwas ändern.
Die Männer waren mit dem Aufbau des Zeltes fertig und richteten die beiden Schlaflager der Frauen.
Doch plötzlich ließ lautes Fluchen im Zelt der Wrangels alle aufhorchen. Verwundert sahen sich Marianne und Elise an. Gemeinsam mit einigen anderen, die ebenfalls neugierig waren, schlichen sie näher heran und blickten in das große Zelt, in dem bereits die ersten Bilder an den Wänden hingen und ein edler Teppich den Holzboden bedeckte.
»Das kann es doch nicht geben«, schimpfte Wrangel. Er hielt ein Schreiben in der Hand, sein Gesicht war gerötet. Ein junger Bote, kaum älter als Marianne, zog den Kopf ein.
»Es kann nicht zu Ende sein. Ich brauche diesen Krieg. Niemand will den Frieden.«
Wütend begann er, den Burschen zu schütteln.
»Hörst du, mein Junge! Er kann und darf einfach kein Ende haben, dieser Krieg ist mein Leben!«
Der Junge ließ sich wie eine Marionette durchrütteln. Anna Margarethe, die die ganze Zeit über schweigend zugesehen hatte, trat hinter ihren Gatten und legte beruhigend die Hand auf seine Schulter.
»Lass den Boten in Ruhe. Er kann nichts dafür. Wir werden an den Neuigkeiten sowieso nichts ändern können.«
Carl Wrangel hielt inne und sah seine Frau durchdringend an.
»Aber verstehst du nicht? Es ist vorbei. Wir haben keinen Krieg mehr. Was wird denn jetzt werden?«
Er ließ den Boten los, der sofort die Flucht ergriff.
»Was soll schon werden?«, erwiderte Anna Margarethe. »Wir können endlich nach Hause gehen und uns ein wenig zur Ruhe setzen, wenigstens für eine Weile. Ich habe das Feldherrenlager so satt. Besonders jetzt, wo der Winter vor der Tür steht, sehne ich mich nach einem warmen Heim für uns und unsere Kinder.«
Carl Wrangel sah seine Frau überrascht an, doch dann lächelte er, zog sie an sich und küsste sie.
»Was würde ich nur ohne dich tun, meine Liebste. Du weist mir immer den richtigen Weg. Du hast recht, der Winter steht vor der Tür. Jetzt suchen wir uns erst einmal eine Bleibe für die nächsten Monate. Und ich verspreche dir: Du wirst nicht frieren müssen.«
Wehmütig beobachtete Marianne die beiden. Sie hätte auch bald einen solchen Mann an ihrer Seite gehabt, doch Albert war vermutlich tot und würde niemals wiederkommen.
Wie ihr Leben in der Welt der Schweden jetzt aussehen würde, wusste sie nicht. Der Mann, den sie liebte, war fort. Erneut keimte in ihr Heimweh auf. Sie wünschte sich zurück ins Kloster, in ihren Rosengarten, in dem sie sich am liebsten für immer verkriechen würde. Vielleicht war Anderl ja noch am Leben. Maurus Friesenegger hatte gesagt, dass Pater Franz alles für ihn tun würde. Am Ende würde Anderl nicht sterben, das Schicksal könnte es ein Mal gut mit ihr meinen und ihr den geliebten Bruder nicht entreißen. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach ihm, nach seiner Wärme und Nähe.
Anna Margarethe löste sich aus der Umarmung ihres Mannes und lächelte ihn sanft an. So entspannt hatte Marianne sie nur selten gesehen.
»Wir sollten die Neuigkeiten gleich offiziell verkünden und danach ein wenig feiern. Auch wenn es in deinen Augen keine besonders guten Nachrichten sind, mein Liebster. Ich danke Gott für den Frieden.«
Carl Wrangel seufzte. Widerwillig stimmte er seiner Frau zu.
»Aber nur im kleinen Rahmen. Ich denke nicht, dass es nach den Vorfällen bei der Jagd angebracht wäre, groß zu feiern. Leider ist auch Albert noch immer verschwunden. Sein Verlust hat mich tief getroffen.«
Anna Margarethe
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