Das Pestkind: Roman (German Edition)
eingefallen, und von den Stallungen waren nur noch verkohlte Reste übrig. Hinter einem alten Holzzaun, der von einem Rosenbusch überwuchert wurde, lagen die zertrampelten Überreste eines Gemüsegartens.
Eine winzige Kapelle stand am Wegrand. Ihre weiß getünchten Wände waren von Blutspritzern übersät, die Tür fehlte, die Reste einer Kirchenbank lagen auf dem Boden. Und dort, wo einst das Kreuz gehangen hatte, waren nur noch dunkle Ränder an der Wand zu erkennen.
In dem Baum neben dem Gotteshaus baumelten die Überreste eines Menschen.
»Eine Schande ist das.« Claude deutete kopfschüttelnd auf die winzige Kapelle, die einst den Wanderer zum stillen Gebet eingeladen hatte. »Warum wird ein Gotteshaus derart entweiht? Wie unbarmherzig muss derjenige gewesen sein?«
Albert zuckte mit den Schultern und wandte sich nach rechts, zum Ufer eines Baches hin, der sich wie ein reißender Strom seinen Weg über die Felder bahnte.
»Das frage ich mich auch. Es ist eine kleine Kapelle, nichts Besonderes, für alle Christen ein heiliger Ort. Nicht einmal im Angesicht von Jesus Christus können wir die Waffen ruhen lassen!«
Friedrich lenkte sein Pferd neben die beiden anderen. Albert mochte den hochgewachsenen Mann aus Brandenburg nicht. Seine dunkelbraunen Haare, die eng beieinanderliegenden blauen Augen und schmalen Lippen, verliehen ihm nichts Herzliches. Dazu kam eine mächtige Hakennase, die er meistens in Dinge steckte, die ihn nichts angingen.
Friedrich konnte den sensiblen Albert nicht leiden. In seinen Augen war er ein Drückeberger, schlechter Soldat und zu nachsichtig gegenüber dem Feind. Niemals würde er wie Carl Gustav Wrangel für seine Ziele über Leichen gehen.
»Ihr wart mal wieder zu weichherzig, mein Freund«, sagte er ohne Umschweife und grinste hämisch. »Ich habe Euch beobachtet. Ihr lasst viel zu viele laufen. Besonders die Kinder. Aus Knaben werden Männer, und aus Männern werden Soldaten. Wenn man sie gleich tötet, hat man sie später nicht zum Feind.«
Albert sah Friedrich nicht an.
»Ich hoffe, dieser Krieg wird nicht mehr so lange dauern, dass ich mich vor einem dreijährigen Knaben fürchten muss.«
Friedrich lachte laut auf.
»Wacht auf, mein Freund. Es wird immer Krieg geben. Seit dreißig Jahren ist das so. Unser Leben ist vorbei, wenn Frieden einzieht, denn dann gibt es keine Schlachten und keinen Ruhm mehr. Die meisten wissen gar nicht, wie ihr Leben ohne Krieg aussehen soll. Er wird noch sehr lange dauern und immer wieder neu aufleben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, ob katholisch oder protestantisch.«
Er gab seinem Pferd die Sporen.
Claude blickte ihm angewidert nach.
»Er mag ein guter Soldat sein, aber ich kann ihn nicht leiden. Wenn es nach mir ginge, hätte ihn schon längst der Blitz getroffen.«
Albert und Claude ließen sich ans Ende der Gruppe fallen und hingen schweigend ihren Gedanken nach. Der Wind frischte auf und rauschte in den Büschen am Wegrand, vereinzelt streiften Regentropfen ihre Gesichter, und über den entfernten Bergen blitzte es noch.
»Immer nur Ruhm«, murmelte Albert. »Damals, als ich in den Tross kam, dachte ich, Carl wäre etwas Besonderes. Vater hat immer nur von ihm gesprochen, von seinem Ruhm geschwärmt. Der General, der stolze Soldat, der für die Schweden siegreiche Schlachten führt. Doch spätestens nach der unstandesgemäßen Heirat mit Anna hat auch er verstanden, dass er Carl nicht beherrschen kann. Als ich ein kleiner Junge war, erschien mir Carl wie ein Held in goldener Rüstung, und ich wollte unbedingt an seiner Seite in die Schlacht ziehen, aber jetzt wünsche ich mir nur noch Frieden und bete jeden Tag dafür, bald nach Hause zurückkehren zu dürfen.«
Claude antwortete nicht auf die Worte seines Freundes. Verwundert sah Albert ihn an. So still kannte er ihn gar nicht.
»Stimmt etwas nicht, Claude?«
Der Franzose seufzte.
»Diese Gegend erinnert mich an meine Heimat, denn so ähnlich sah es auch in unserem Tal aus. Lange Zeit habe ich nicht mehr an zu Hause gedacht, aber jetzt ist alles wieder da. Unser Hofgut, die endlosen Pferdeweiden und die Menschen, die ich versuche zu vergessen. Papa, Mama, die beerdigt wurden. Aber nicht von mir, denn ich muss ja Krieg führen, in einem fremden Land. Meine Schwestern, um die ich mich nicht kümmern konnte. Albertine war zart wie ein kleines Kätzchen. Sie war drei Jahre alt, als ich fortging, und ich weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben ist. Ich weiß
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