Das Pestkind: Roman (German Edition)
gewissen Uhrzeit ließ sie Margit den Vortritt beim Bedienen. Immer wieder wanderte ihr Blick in die Ecke, in der die Männer heftig miteinander diskutierten und manchmal sogar hinter vorgehaltener Hand flüsterten.
Einige Zeit später, als der letzte Gast endlich gegangen war, arbeitete Marianne noch immer in der Küche. Es zählte zu ihren Aufgaben, den Ofen zu reinigen, die Töpfe zu scheuern und den Abfall rauszubringen. Jeder Knochen im Leib tat ihr weh, aber heute genoss sie es, allein zu sein und diese Zeit für sich zu haben. Sie hatte die Hintertür zum Hof und die Tür zur Gaststube geöffnet. Ein leichter Luftzug wehte durch den Raum und ließ sie freier atmen.
Hedwig wusste ganz genau, wie sie ihrem Stiefkind das Leben schwermachen und ihr immer wieder zeigen konnte, was sie von ihr hielt. Dass es der Alten nur um den Unterhalt ging, den ihr Pater Franz jeden Monat bezahlte, war Marianne schon lange klargeworden. Nächstenliebe war für die Thalerin, wie ihre Ziehmutter überall in der Stadt genannt wurde, ein Fremdwort.
Wie oft hatte sich Marianne von hier fort gewünscht, war weinend ins Kloster gelaufen und hatte darum gebettelt, nicht mehr hierher zurückzumüssen. Aber es hatte alles nichts geholfen. Niemand außer der Thalerin wollte sie haben. Sie war die Geächtete, die es mit dem Teufel hatte. Mit der Zeit hatte sich Marianne an das Geschwätz der Leute gewöhnt. Sie war dem Tod entkommen. Gott hatte ihr das Leben geschenkt, sagte Pater Franz immer. Er war für sie ein wenig wie der Vater, den sie nie gehabt hatte. Sie konnte immer zu ihm ins Kloster kommen, wenn sie Kummer hatte. Er hörte ihr zu, nahm sie in den Arm und trocknete ihre Tränen.
Ein starker Windstoß, der die Tür zur Gaststube laut knallend zuschlug, ließ Marianne, die gerade dabei war, eine gusseiserne Bratpfanne im Spülstein zu scheuern, aufblicken. Donnergrollen folgte dem Windstoß, und ein weiterer Luftzug ließ die Kerze in der Laterne flackern.
Erleichtert über die kühle Brise, welche die stickige Schwüle des Tages vertrieb, ließ Marianne ihre Arbeit liegen und trat in den dunklen Hof hinaus. Sie genoss es, wie ihr der Wind unter die Röcke fuhr und sie an den Beinen kitzelte. Ein heller Blitz zuckte über den Nachthimmel und erleuchtete die dunklen Fenster. Der Duft von Blumen und Erde vermischte sich mit dem sanften Malzgeruch, der hier allgegenwärtig war. Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel und ließ den Hof geheimnisvoll und unheimlich aussehen. Gleich würde es zu regnen beginnen. Seufzend drehte sie sich um, ging zurück in die Küche und begann, die Küchenabfälle, die Hedwig stets achtlos in die Ecke neben den Herd warf, in einen großen Holzeimer zu schaufeln, lief erneut hinaus und schüttete sie auf den Kompost. Es war seltsam still geworden. Nichts regte sich. Das Unwetter rang noch einmal nach Atem, um dann endgültig zuzuschlagen. Plötzlich durchbrachen Stimmen die bedrohliche Stille. Das Hoftor war nur angelehnt. Direkt davor standen anscheinend zwei Männer, die sich heftig stritten. Den einen der Männer erkannte sie sofort an seiner überheblich klingenden Stimme. Der Büttel und sein Kumpan. Leise schlich Marianne zum Pferdestall hinüber und drückte sich in den Schatten der Hauswand. Vor Aufregung schlug ihr das Herz bis zum Hals. Lauschen war eine Sünde, das wusste sie. Aber sie konnte nicht anders. Sie wollte unbedingt wissen, was die beiden Männer so Wichtiges zu besprechen hatten.
»Die Brauerei gehört mir. Meine Cousine ist Witwe, eine Frau kann so einen Betrieb doch gar nicht richtig bewirtschaften. Und ihr einfältiger Sohn wird die Geschäfte niemals übernehmen können.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte August Stanzinger. »Immerhin bin ich hier der Stadtbüttel. Ich kann doch nicht das Recht mit Füßen treten.«
»Es soll Euer Schaden nicht sein. Unter meiner Führung wirft die Brauerei gewiss gute Gewinne ab, und eine Beteiligung Eurerseits käme dann durchaus in Frage. Oder soll ich mein Wissen doch noch kundtun?«
»Nein, natürlich nicht!« Der Büttel wurde lauter. »Ich werde Euch schon irgendwie helfen. Das Stockhammer Bräu hat einen guten Ruf, der, seitdem die Frau es allein bewirtschaftet, sehr gelitten hat. Natürlich auch deshalb, weil sie den blöden Jungen hat und sich auch noch dieses Pestkind aufhalste, das hier niemand haben will.«
Marianne sog scharf die Luft ein.
»Also helft Ihr mir jetzt, meine hübsche Base loszuwerden? Wie gesagt, es
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