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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Krieg. Ich bin jetzt fünfundzwanzig Jahre alt. Es muss doch noch etwas anderes geben.«
    Seine Stimme war lauter geworden, als er es wollte. Warum hatte er das gesagt? Warum verteidigte er seine Gefühle vor einem Menschen, der keinen Funken Mitleid in sich trug und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war? Carl sah ihn herablassend an. Sein Gesichtsausdruck war undurchschaubar wie immer.
    »Du bist mein Bruder, Albert, deshalb sehe ich dir deine Schwächen nach. Wir üben Rache an diesem Land und an dem Volk, das meinte, sich gegen uns stellen zu müssen. Das ist nicht immer ein schönes Handwerk und hat auch nichts mit einer ruhmreichen Schlacht zu tun, das weiß ich nur zu gut. Du bist in meiner Armee und wirst tun, was ich dir befehle. Hast du mich verstanden, Albert?«
    Albert nickte wortlos. Carl sah ihn herausfordernd an.
    »Ich möchte eine klare Antwort hören.«
    »Ja, ich habe verstanden.«
    Am liebsten hätte Albert seinen Bruder angebrüllt und wäre davongelaufen, irgendwohin, wo er die Dinge, die er heute, gestern, vorgestern und all die Jahre gesehen hatte, vergessen konnte. Aber das war nicht möglich. Die Armee ging nicht zimperlich mit Fahnenflüchtigen um, und wenn er jemals mit heiler Haut aus dieser Sache herauskommen wollte, dann musste er sich fügen.
    Carl wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal um.
    »Die nächste Stadt auf meiner Liste ist Rosenheim, eigentlich nur ein Markt, soll aber sehr reich sein, Salzhandel und solche Dinge. Da gibt es bestimmt einiges zu holen. Ich wollte eine kleinere Truppe als Vorhut schicken, die ein wenig Angst und Schrecken verbreitet. Da du mein Bruder bist, wirst du diese Aufgabe für mich übernehmen. Wie es aussieht, werden wir die Belagerung von Wasserburg bald aufheben und weiterziehen. Eines meiner Regimenter wird in den nächsten Tagen bereits Richtung Mühldorf aufbrechen, doch der Haupttross wird noch eine Weile hierbleiben. Du wirst also genügend Zeit für diese Aufgabe haben.«
    Albert sah seinen Bruder fassungslos an.
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Doch mein Lieber, das ist es.« Carl klopfte ihm auf die Schulter.
    »Friedrich wird dich begleiten, und glaube mir, er wird mir genauestens Bericht erstatten.«

P ater Jakobus kroch aus der alten Scheune heraus und blickte sich misstrauisch um. Die Vögel begrüßten ihn laut zwitschernd, und in dem kleinen Bach neben der Scheune funkelte die aufgehende Sonne. Strahlend blau leuchtete der Himmel über den nebelverhangenen, feuchten Wiesen der Filzen, wie die sumpfige Gegend genannt wurde. Fasziniert blickte der Mönch auf die in der Ferne liegenden Berge. Die Natur gab ihm, trotz des vielen Leides, das Gefühl, nicht von Gott verlassen worden zu sein, auch wenn er in der langen Zeit des Krieges oft an ihm zweifelte.
    Eigentlich hatten er und sein Mitbruder Sebastian, der mit einer offenen Wunde am Bein schlafend in der Scheune lag, noch Glück gehabt. Sie waren zu der Zeit, als die Schweden Aibling heimsuchten, damit beschäftigt gewesen, die Zäune der Pferdekoppeln zu reparieren, und hatten über die Felder fliehen können. Doch ein Landsknecht hatte sie bemerkt, war ihnen ein ganzes Stück nachgelaufen, und eine seiner Kugeln hatte Sebastian am Bein getroffen. Den Moment, als sein Freund zu Boden gegangen war, würde Jakobus so schnell nicht vergessen. Die Wahl zu haben, zu helfen oder seine eigene Haut zu retten, war schrecklich. Doch er war zurückgelaufen, hatte Sebastian aufgeholfen, und gemeinsam waren sie in das sumpfige Gelände der Filzen geflohen. Er wusste nicht mehr, wie lange sie gelaufen oder wie oft sie im Morast stecken geblieben waren. Sebastian hatte ihn angefleht, ohne ihn weiterzugehen und sein eigenes Leben zu retten.
    Irgendwann hatten sie dann vor einem Gewitter in der Scheune Schutz gesucht.
    Plötzlich tauchten auf dem Feld zwei Rehe auf. Anmutig liefen sie durchs hohe Gras, hoben ihre Köpfe und blickten sich wachsam um. Sie verschmolzen mit dem Morgennebel, den Bergen, Bäumen und Büschen. Vielleicht hat Gott uns doch noch nicht vergessen, überlegte Jakobus. Er hat uns das Leben geschenkt und mir diesen wundersamen Moment. Er sollte dankbar sein und nicht argwöhnen. Gott leitete die Menschen mit seinen Worten, was sie daraus machten, war nicht seine Aufgabe.
    Lautes Stöhnen riss ihn aus seinen Gedanken. Er eilte zurück in die Scheune.
    Bruder Sebastian setzte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Die offene Schusswunde direkt unterhalb des

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