Das Pestkind: Roman (German Edition)
Unglück. Es sind die Zeiten, die Unglück bringen, und der Aberglaube der Menschen zerstört so vieles. Nur weil sie manche Dinge nicht verstehen, sind sie noch lange nicht falsch.«
»Aber warum sterben alle Menschen, die mir etwas bedeuten? Warum straft mich Gott so sehr?« Marianne schlug die Hände vors Gesicht.
Mitleidig sah die Alte Marianne an, erhob sich, legte ihre Arme um sie und zog sie eng an sich. Marianne genoss die Wärme und Nähe der alten Frau und ließ es zu, dass sie ihren Rücken streichelte. Irgendwann löste sie sich aus der Umarmung und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Es geht schon wieder.«
Petronella ging auf ihren Platz zurück. »Wir sind uns gar nicht so unähnlich.« Sie brach ein Stück Brot ab.
Marianne sah sie erstaunt an.
»Fortgejagt haben sie mich aus meinem Dorf, weil ich eine Hexe sein soll, derweil habe ich doch immer nur versucht zu helfen.«
Marianne legte den Kopf schräg.
Petronella deutete in die Höhle.
»Ich lebe hier nicht freiwillig, doch der Wald und ich haben unseren Frieden geschlossen. Früher verirrten sich ab und an noch verzweifelte Mädchen aus dem Dorf zu mir. Ich half ihnen gern, auch wenn es nicht immer gutging.«
Marianne zog die Augenbrauen hoch.
»Bei was hilfst du ihnen?«
Petronella nahm einen Schluck aus ihrem Becher.
»Kannst du dir das nicht denken?«
Marianne blickte auf ihren Bauch.
»Doch nicht etwa …«
Petronella nickte.
»Also bist du eine Engelmacherin«, stellte Marianne fest.
Jetzt lächelte die Alte.
»Diese Bezeichnung mag ich am liebsten, aber natürlich bin ich nicht nur eine Engelmacherin, sondern ich helfe bei vielen Dingen.« Petronella seufzte. »Irgendwann kam ein neuer Pfarrer in unser Dorf, und ab dann ist niemand mehr zu mir gekommen. Er hat gesagt, ich würde sie verzaubern und hätte es mit dem Teufel.«
Marianne winkte ab. »Mit dem Teufel hatte ich es auch.«
»Dich wollten sie aber nicht als Hexe verbrennen, oder?«
Marianne schüttelte den Kopf. »Warum bist du nicht weitergezogen und lebst allein in dieser Höhle?«, fragte sie und nahm noch einen Schluck von ihrem Kräutertee. »Du könntest doch in einem anderen Dorf unterkommen.«
»Keine zehn Pferde bringen mich von hier fort.« Petronella machte eine weit ausholende Geste. »Soll der Pfarrer doch gegen mich wettern – was er bis heute tut. Meine Kinder leben noch im Dorf, und sie lasse ich nicht allein. Wenn sie mich brauchen, wissen sie, wo sie nach mir suchen müssen.« Sie seufzte. »Doch sie sind schon seit längerem nicht mehr gekommen. Langsam frage ich mich, ob ihnen etwas zugestoßen ist.«
Marianne sah die Alte mitleidig an.
»Und wenn du nach ihnen suchen würdest?«
Petronella winkte ab.
»Keine hundert Meter nähere ich mich dem Dorf. Der Pfarrer hat seine Häscher auf mich angesetzt, die mich jedoch niemals finden werden, da keiner den Weg kennt.«
»Und was wäre, wenn deine Kinder nicht mehr leben?«, fragte Marianne. »Immerhin war Krieg, die Schweden haben so viele Dörfer niedergebrannt und …«
Petronella unterbrach sie.
»Das hätte ich erfahren, ich habe meinen Quellen. Sie leben noch, und solange sie hier sind, werde ich nicht fortgehen.«
Marianne konnte die alte Frau verstehen.
»Und solange es die Hoffnung gibt, dass Anderl noch lebt, werde ich weiterziehen, denn ich habe ihm versprochen zurückzukommen«, antwortete sie und spürte erneut die Angst in sich aufsteigen.
*
Drei Tage später war Marianne wieder so weit auf den Beinen, dass sie weitergehen konnte. Petronella hatte ihr einen Beutel mit Proviant und eine Decke eingepackt. Mehrfach hatte sie ihr den Weg zum Inn erklärt, der nicht weit von ihrem Dorf entfernt durch ein Tal floss.
Marianne war guten Mutes, als sie mit Petronella am Rand der kleinen Lichtung stand. Jetzt, wo der Abschied bevorstand, fehlten beiden die Worte. »Vielen Dank für alles. Und entschuldige, dass ich dich so überfallen habe«, sagte Marianne, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten.
Petronella winkte ab.
»Ich muss mich entschuldigen, immerhin habe ich dich niedergeschlagen.«
Marianne griff sich an den Hinterkopf. Die dicke Beule, die Petronellas Pfanne hinterlassen hatte, war fast verschwunden.
»Du wusstest ja nicht, wer ich war.«
Petronella neigte den Kopf zur Seite.
»Ich werde dich vermissen, denn es war schön, jemanden hier zu haben.« Sie deutete hinter sich. »Ab jetzt sind Vickerl und ich wieder allein.«
Marianne lächelte. Doch dann
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