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Das Pestkind: Roman (German Edition)

Das Pestkind: Roman (German Edition)

Titel: Das Pestkind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Steyer
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Umstand zu verdanken war, dass er gern und viel aß und auch ein gutes Bier nie ablehnte. Mönche, die ihr Dasein mit Fasten verbrachten, waren ihm ein Graus.
    Marianne schaute sehnsuchtsvoll zu dem dampfenden Topf.
    Johannes grinste verschmitzt und nahm eine Schale vom Regal.
    »Komm, Kindchen, setz dich, aber schließ die Tür, damit die Hühner nicht hereinkommen. Dieses verfressene Volk benimmt sich, als hätte es nichts zu essen bekommen, dabei habe ich sie schon vor einer Stunde gefüttert.«
    Marianne schloss die Tür und setzte sich an den Tisch. Der alte Mönch schaufelte reichlich Haferbrei in die Schale und verfeinerte ihn mit einem großen Klecks Honig. Marianne lief das Wasser im Mund zusammen. Bei Hedwig gab es natürlich auch jeden Morgen Haferbrei, doch Hedwigs Haferbrei bestand mehr aus Milch, ohne Hafer, und den Luxus, Honig hineinzurühren, würde sich Marianne niemals gestatten. Pater Johannes stellte die Schale auf den Tisch und musterte das Mädchen skeptisch.
    »Sie behandelt dich wieder nicht gut, oder?«
    Marianne blickte beschämt zu Boden. Seit Monaten hatte sie nichts als dünne Graupensuppe, Haferbrei und Küchenreste gegessen. Der alte Mönch setzte sich ihr gegenüber hin und beobachtete sie lächelnd dabei, wie sie den süßen Brei aß.
    Wie alt war das Mädchen jetzt? Vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre? Eigentlich im heiratsfähigen Alter. Aber wer würde sie heiraten? Er verabscheute das Gerede der Leute. Gott hatte sicher einen guten Grund dafür gehabt, Marianne auf Erden zu lassen, aber vielleicht hätte er sie doch besser zu sich nehmen sollen, denn ein Leben als Geächtete war in seinen Augen kein Leben. Was für eine Zukunft würde das Mädchen haben? Früher, als er noch besser laufen konnte, war er oft nach Kieling gewandert, um auf dem Gutshof der Leitners nach dem Rechten zu sehen. Pater Korbinian war dort täglich anzutreffen gewesen, aber seit seinem Tod und dem Abriss der Innbrücke war keiner mehr in dem einstigen Zuhause des Mädchens gewesen.
    »Woran denkst du?« Marianne sah den Mönch neugierig an.
    »Ach, an so vieles und nichts.« Was sollte er vom Heiraten reden, wenn sowieso keiner sie haben wollte.
    Marianne legte den Löffel auf den Tisch, gähnte und streckte sich. Der Mönch griff nach der Schale und sah das Mädchen fragend an.
    »Möchtest du noch etwas?«
    Marianne überlegte kurz. Eigentlich war ihr Magen voll, doch der süße Geschmack des Honigs lag noch auf ihrer Zunge.
    Der alte Mönch erriet ihre Gedanken.
    »Ist schon gut, du nimmst hier keinem etwas weg. Bist dünn geworden, Mädchen, iss dich ruhig satt.«
    Er erhob sich und schlurfte zurück zum Ofen. Marianne lehnte sich entspannt an die Wand und schloss die Augen.
    Dann ließ ein ungewohntes Geräusch sie aufhorchen. Das Geschrei eines Säuglings drang an ihr Ohr, und erst jetzt fiel ihr das Weidenkörbchen auf, das neben dem Herd in der Ecke stand.
    »Was war das denn? Seit wann gibt es denn bei dir in der Küche Säuglinge, Johannes?«
    Der Mönch sah mit trauriger Miene zu dem Körbchen.
    »Es lag heute Morgen vor der Tür. Ist nicht das erste Kind, das wir finden.«
    Marianne ging zu dem Körbchen. Das winzige Bündel Mensch fuchtelte nervös mit den Ärmchen. Sein Gesicht war gerötet, und Tränen rannen aus den zusammengekniffenen Äuglein. Sanft strich sie dem Kleinen über die Wange, hob es heraus und wiegte es beruhigend.
    »Na, na, wer wird denn weinen. Jetzt ist doch alles wieder gut. Es hat Hunger, Johannes.«
    »Ich weiß«, antwortete er und rührte nervös im Haferbrei. »Warum gibst du ihm nichts?« Marianne sah den Mönch vorwurfsvoll an. Das Kind begann, an Mariannes Daumen zu saugen, und hielt sich mit seinen kleinen Fingerchen krampfhaft daran fest.
    »Ich hab nichts für das Kindchen. Es ist ein Neugeborenes. Wenn ich ihm die Milch unserer Kühe gebe, stirbt es, und die Ziege ist uns gestohlen worden.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich kann ihm nichts geben, genauso wenig wie den anderen.«
    »Welchen anderen?« Marianne sah den Mönch erschrocken an. Sie konnte es nicht fassen. Die verzweifelte Mutter hatte ihr Kind in der Hoffnung auf Gott vor dem Kloster ausgesetzt, und jetzt lag es hier und verhungerte.
    »In den letzten Wochen lagen oft Neugeborene vor der Tür. Eines war bereits tot, als ich es bemerkte. Die anderen sind irgendwann ruhig geworden und eingeschlafen.« Er sah das Kind mitleidig an. »Wir haben keine Frauen im Kloster, geschweige denn eine Amme.

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