Das Pestkind: Roman (German Edition)
sprang über die züngelnden Flammen, und seine dünnen Beine, die in grünen Hosen steckten, flogen dabei in die Luft wie die eines Frosches.
Plötzlich vermisste Marianne den Tross, denn das Feuer, die Zelte und die Musik erinnerten sie an Milli und Albert. Traurig dachte sie an ihren Geliebten, der wahrscheinlich irgendwo im Dachauer Moos lag und nie gefunden werden würde. Die Angst um Anderl, ihre Wanderung, der Überfall auf den Gasthof und ihre Odyssee durch den kalten Wald hatten sie den Schmerz über seinen Verlust ausblenden lassen, doch jetzt holte er sie wieder ein.
Genau an einem solchen Feuer hatte Albert sie zum ersten Mal geküsst. Sie sah sein Gesicht vor sich, seine grünen Augen und sein Lächeln, fühlte fast seine Hände auf den Wangen.
Seufzend kuschelte sie sich in die Decke. Er würde niemals wiederkommen. Ihre Augen wurden feucht.
Plötzlich kam sie sich verlassen vor, die Musik, das Feuer, das Lachen der Männer und deren Fröhlichkeit waren weit fort. Erschöpft drehte sie sich zur Seite und schlief ein.
*
Marianne öffnete die Augen und schaute sich verwundert um. Sie lag nicht mehr am Lagerfeuer, sondern blickte auf Holzbretter über sich. Sie richtete sich auf und streckte sich gähnend. Der Duft von Tannenharz hing in der Luft. Sie saß auf einem Strohlager, und eine wollene rote Decke lag über ihren Knien. Neben ihr stapelten sich mehrere Stoffballen, und den Rest des Raumes füllten mächtige Fässer aus. Wie sie hierhergekommen war, wusste sie nicht, doch es war gemütlich, trocken und warm. So einen schönen Schlafplatz hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Es gab ein richtiges Dach, und keine Zugluft kam durch irgendwelche Ritzen. Sie beschloss, noch einen Moment liegen zu bleiben und die Stimmen, die von draußen hereindrangen, zu ignorieren. Genüsslich schloss sie die Augen.
Doch plötzlich wurde die Tür geöffnet, und Alois blickte in den Raum.
»Bist du schon wach, Mädchen?«, fragte er mit leiser Stimme.
»Ja, ich bin wach«, antwortete Marianne seufzend.
»Das ist gut. Wir wollen gleich los. Ich habe auch bereits eine Aufgabe für dich, du wirst Fredl auf der Kuchelzille zur Hand gehen. Er ist nicht mehr der Jüngste und kann eine Hilfe gut gebrauchen.«
Marianne wusste nicht so genau, was eine Kuchelzille war, aber gewiss würde sie es gleich erfahren. Sie setzte sich gähnend auf und schlug die Decke zurück. Sie war angezogen. Ihr Kleid war zerknittert, hatte überall Flecken und verströmte einen modrigen Geruch, aber immerhin war es jetzt trocken. Seufzend schlüpfte sie in ihre Schuhe und folgte dem Schiffsmeister nach draußen.
Nebel hing über dem Fluss, das andere Ufer verschwand hinter grauen Schwaden, die übers Wasser zogen, und eine unangenehme Feuchtigkeit hing in der Luft. Marianne fröstelte. Am Ufer herrschte reges Treiben. Der Seßthaler, der den Zug anführte und kommandierte, stand auf der »Hohenau«, die das erste und größte Schiff war und als Kommandozentrale diente, und erteilte Anweisungen. Nebenbei unterhielt er sich mit einem schmächtigen dunkelhaarigen Mann, der einen Stift in der Hand hielt, eifrig nickte und sich Notizen machte. Die Schiffsreiter führten ihre Pferde an die Stellen, die ihnen der Marstaller, der die Verantwortung über die Pferde hatte, zuwies.
Marianne sah sich fasziniert um. Plötzlich genoss sie das rege Treiben um sich herum. Das Schnauben der Pferde, den Geruch von Holzrauch und die Rufe der Männer. Sie war endlich nicht mehr allein, sondern war ein Teil einer Gemeinschaft geworden, die zusammenhielt und ihr half.
Alois riss sie aus ihren Gedanken.
»Komm, Mädchen, bei Fredl bekommst du bestimmt ein Frühstück.«
Sie liefen am Ufer entlang. Marianne sah, wie lang der Zug war.
»Das sind ja viele Boote«, sagte sie. Alois lächelte nachsichtig.
»Wir brauchen sie aber alle. Siehst du das Boot direkt neben der ›Hohenau‹?« Er deutete auf ein flaches Holzschiff, das in der Mitte einen breiten eckigen Aufsatz hatte, der etwas niedriger war als der der ›Hohenau‹.
»Das ist die Nebenbei, genauso wie die Funkelzille, in der du geschlafen hast, ein Frachtschiff. Dann haben wir noch weitere Schiffe, die Seilmutze und die Rossplätten zum Übersetzen der Pferde.« Er blieb vor einem Boot stehen, das fast genauso groß war wie die Nebenbei.
»Und das hier ist die Kuchelzille. Die Küche ist dort untergebracht, und wir haben sogar einen Ofen, auf dem richtig gekocht werden kann. Den Eintopf
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