Das Pestkind: Roman (German Edition)
die Schutzpatrone und Flussgötter auch so zurecht, wie du sie brauchst.«
Balthasar neigte den Kopf zur Seite.
»Das würde ich niemals tun, denn am Ende liegen wir doch alle in Gottes Hand, und nur er weiß, was unser Schicksal ist.«
»Weise gesprochen, mein Freund«, antwortete plötzlich der alte Fredl, der eben aus der Küche gekommen war.
»Und deshalb achtest du jetzt lieber wieder auf dein Ruder, und das Mädel spült das Geschirr.«
Er füllte einen Eimer mit Flusswasser und reichte ihr einen Lappen und ein Stück Kernseife.
»Wenn du fertig bist, kommst du zu mir in die Küche. Für die Suppe müssen noch jede Menge Zwiebeln geschält werden, und wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
Marianne machte sich sogleich an die Arbeit. Sie säuberte die Schüsseln und legte sie auf ein langes Brett zum Abtropfen.
Balthasar konzentrierte sich wieder auf sein Ruder. An dieser Stelle des Flusses gab es viele gefährliche Strömungen, auf die es zu achten galt.
Marianne war froh darüber, dass er nicht mehr sprach. Während sie spülte, wanderten ihre Gedanken erneut zu Alois, und sofort kribbelte es in ihrem Magen. Sie wusste, was dieses Gefühl zu bedeuten hatte, wollte es aber nicht zulassen. Es durfte einfach nicht sein, denn sie liebte doch Albert und vermisste ihn sehr.
Fredl unterbrach jäh ihre Gedanken.
»Träumen tut sie, anstatt zu arbeiten. Willst du den ganzen Tag für das Geschirr brauchen?«
Marianne zuckte zusammen.
»Nein, nein«, antwortete sie und legte die letzten beiden Tonschalen in den Eimer.
»Ich bin fast fertig und komme gleich.«
Grummelnd verschwand der Alte wieder. Marianne warf Balthasar kurz einen Blick zu, doch der Schifffahrer hatte seine Aufmerksamkeit auf sein Ruder gerichtet.
Hastig wischte sie sich die Hände an ihrem Rock trocken und betrat die Küche. Der beißende Geruch der Zwiebeln raubte ihr für einen Moment den Atem, Tränen schossen ihr in die Augen. Der ganze Tisch war voller Schalen, in einem großen Topf lagen die bereits fertig geschälten und in Stücke geschnittenen Knollen und warteten auf ihre Weiterverarbeitung.
Fredl sah sie auffordernd an.
»Da bist du ja endlich, dachte schon, du kommst gar nicht mehr.«
Er bedeutete ihr, Platz zu nehmen, und warf ein weiteres Messer auf den Tisch.
»Hör auf zu heulen, Kindchen, sondern mach dich lieber an die Arbeit. Die Männer werden später großen Hunger haben.«
Marianne setzte sich, griff nach dem Messer und begann, die erste Zwiebel zu schälen. Dabei zog sie etwas undamenhaft die Nase hoch. Tränen liefen über ihre Wangen.
Fredl bemerkte es mit Genugtuung.
»Ist nicht gerade leicht, so eine Zwiebelsuppe zu machen, aber sie ist billig, gut bekömmlich und macht satt.«
»Eine Suppe nur aus Zwiebeln«, fragte Marianne verwundert.
Fredl war erstaunt.
»Sag bloß, du kennst keine Zwiebelsuppe, Kindchen.«
Marianne schüttelte den Kopf.
Der Alte lachte zum ersten Mal in ihrer Gegenwart und schlug sich dabei auf seine dünnen Schenkel.
»Nein, so etwas, dass es das überhaupt gibt. Sie kennt keine Zwiebelsuppe, das kann doch nicht sein.«
Marianne sah ihn an. Wenn er lachte, wirkte er gar nicht mehr so böse. Seine Augen leuchteten, und die vielen Falten um seinen Mund machten ihn fast ein wenig liebenswert.
Fredl erhob sich, wischte sich die Tränen aus den Augen und ging zum Herd.
Schweigend blieb er davor stehen, doch dann drehte er sich plötzlich um und sah Marianne ernst an. Seine Fröhlichkeit von eben war verschwunden.
»Es tut mir leid, so grob zu dir gewesen zu sein. Alois hat schon recht damit, dich mitzunehmen und zu beschützen. Er hat mir ein wenig von dir erzählt, weißt du …«
Er brach mitten im Satz ab.
Sie legte das Messer zur Seite und streckte ihm wortlos ihre Hand zur Versöhnung entgegen.
Der alte Mann ergriff sie dankbar.
»Wir werden uns bis Rosenheim schon vertragen. So weit ist es ja nicht mehr.« Er zwinkerte ihr zu.
Marianne nickte und getraute sich endlich die Frage zu stellen, die ihr die ganze Zeit über auf der Zunge lag.
»Warum hast du mir gestern auf den Arm geschlagen? Gemeinsam hätten wir Toni bestimmt retten können.«
Fredl seufzte hörbar.
»Was einmal in den Fluss gefallen ist, gehört dem Flussgott und darf nicht mehr herausgezogen werden. Wir erzürnen ihn damit, wenn wir ihm etwas wegnehmen.«
»Ich verstehe«, antwortete Marianne. »Nur frage ich mich, ob Toni in diesem Moment genauso gedacht hat.«
Fredl zuckte mit den
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